Benutzer-Werkzeuge

Webseiten-Werkzeuge


die_andere_seite_der_hoffnung:kommunikation_der_protagonisten_-_verbal_und_nonverbal_bernd_katzenstein

Aki Kaurismäki „Die andere Seite der Hoffnung“

Die Kommunikation der Protagonisten- verbal und nonverbal (Bernd Katzenstein)


Mein Essay beschäftigt sich mit der verbalen und nonverbalen Kommunikation (Dialoge, Körpersprache und Mimik) dreier Szenen des Films. Meine Analyse soll die Frage beantworten, ob Aki Kaurismäki auch in diesem Film sein vielfach erprobtes und beschriebenes minimalistisches Konzept weiterverfolgt.

Unter einem minimalistischem Konzept verstehe ich eine Art Film zu machen, bei der die filmischen Mittel auf das Wesentlichste und Notwendigste reduziert. Ziel ist, mit dieser Reduktion einen maximalen Effekt zu erreichen.

Dazu protokolliere ich

  • Zwei Szenen (1,2) zwischen Wikström und Khaled mit und eine (3) ohne Dialog zwischen Wikström und seiner Frau
  • beschreibe den Szeneninhalt und dessen Bedeutung.
  • analysiere die Sprache, Gestik und Mimik (Körpersprache)
  • ein Fazit fasst die wichtigsten Ergebnisse zusammen

Vorbemerkung

„Als Dialoge werden kommunikative Handlungen bezeichnet, die zwischen mindestens zwei Personen stattfinden“1).Der Dialog… gehört im Konzept der Gestaltungsmaßnahmen in das Zuordnungsgefüge, welche das Verhältnis von Bild und Sprache in charakteristischer Weise kennzeichnet“.2) Ein sogenannter On-Dialog, also der räumlich und zeitliche dem Bild synchron zugeordnete sprachliche Handlungsverlauf soll die Wirkung des Bildes unterstreichen, ja potenzieren. Sehr bemerkenswert ist, dass dem Dialog als Bestandteil der filmischen Gestaltungsmittel in der Literatur wenig Aufmerksamkeit gewidmet wird.3)

1. Prügelszene zwischen W und K (1:01 bis 1:03)

Die schmutzig-weiße Front des Restaurants am Abend. Der leuchtend gelbe Neonschriftzug“ Kultainen Tuoppi“( Goldener Krug). Rechts ragt ins Bild der mächtige chromverzierte Kühler von Wikströms schwarzem Amischlitten. Die braunen Fensterrahmen und die grau-bräunliche Fassadenverkleidung, das ganze Ensemble machen einen heruntergekommenen Eindruck. Aus der Tür tritt Wikström, korrekt gekleidet in einem hellgrauen Anzug, weißes Hemd, bräunliche Krawatte und sauber gefaltetes weißes Einstecktuch. Er wendet sich nach rechts der Fensterfront entlang, in der rechten Hand einen nicht ganz gefüllten grauen Müllsack. Die Kamera folgt ihm. Energischen Schrittes läuft er auf einen großen grauen eckigen Müllcontainer zu, der in einer Nischen neben der Restaurantfront steht. Wikström geht zielbewusst blickend auf den Container zu, dreht sich nach rechts, öffnet den Deckel und versenkt sorgfältig den Sack und stopft noch einmal nach.

(Schnitt. Kamera frontal vor der Längsseite des Containers): Wikströms Kopf und dann der Oberkörper erscheinen hinter dem sich senkenden Containerdeckel. Jetzt erst wendet er sich nach links in Richtung der rückversetzten Hauswand, blickt erstaunt nach schräg unten wobei sich sein Oberkörper nach vorne neigt.)

(Schnitt. Kamera frontal auf die Hauswand gerichtet, rechts der Container, Wikström nicht im Bild.)

Khaled sitzt frontal zur Kamera auf Packpapier am Boden. Das rechte Knie angezogen. Er trägt eine verschmutzte graue Jacke, ein ebenso verschmutztes blau-grau-weiß kariertes Hemd und eine graue Hose aus grobem Stoff. Gesicht und Hand sind ebenfalls schmutzig, aus dem verschwitzten Haar hängt eine kleine Locke in die Stirn. Khaled schaut erschöpft, sehr teilnahmslos schräg nach oben, die Augen leicht verengt. (Schnitt. Kamera frontal vor der Längsseite des Containers). Wikström steht links und schaut schräg nach unten. Langsam erscheint Khaleds Kopf, der sich allmählich erhebt. Er ist einen halben Kopf kleiner als Wikström).


Dialog:

WIKSTRÖM: Was bist Du denn für einer?

(Schnitt)

WIKSTRÖM: (hebt leicht den linken Arm und lässt ihn wieder hängen. Khaled folgt der Bewegung mit den Augen)

KHALED: I live here, this is my bedroom

(Khaled beginnt während des Satzes aufzustehen)

(Schnitt: Kamera wieder frontal auf Höhe des Containers. Distanz der beiden Oberkörper etwa ein Meter)

WIKSTRÖM: No way, this is my garbage field.

KHALED: Says who?

WIKSTRÖM: Say I.

(Während Wikström den Blick auf Khaleds Gesicht hält, hat dieser ein oder zweimal den Blick gesenkt. Jetzt kommt er Wikström etwas näher und sagt leicht drohend)

KHALED: You want to fight?

WIKSTRÖM: But I am bigger.

KHALED: So, what!


(Khaleds Oberkörper hat sich weiter genähert, wir sehen den linken Arm in Brusthöhe den Körper ausbalancieren, während er offenbar mit der rechten Arm ausholt. Mit einem dynamischen Schwung schlägt Khaled Wikström die rechte Faust ins Gesicht. Wikström taumelt, aber fällt nicht. Während Khaled die vor der Brust platzierten Fäusten allmählich sinken lässt und sich auf die Grundposition zurückzieht, richtet sich Wikström wieder auf, der Kopf bleibt gebeugt, Wikström führt die Hand zur getroffenen Nase und blickt überrascht auf seine linke Handfläche. Wir sehen einen blutroten Fleck auf der Nase. Sein Blick geht zu Khaled, der Körper strafft sich leicht und mit einem rechten Schwinger schlägt er Khaled zu Boden. Khaled verschwindet hinter dem Container. Wikström richtet sich auf, führt beide Hände zur blutenden Nase und schaut auf die offenen Hände mit dem Blut.

(Schnitt)

Bedeutung

Die Szene ist ganz entscheidend für den Fortgang, weil die beiden bisher getrennt agierenden Protagonisten nach einer kurzen, zufälligen Begegnung nun zusammenfinden. Streit ist angesagt, keineswegs Konsens-sogar körperliche Aggression. Der Regisseur stellt dem Zuschauer eine Falle: Ein großer Mann steht über einem erschöpft am Boden sitzendem kleineren Mann. Das suggeriert ein eindeutiges Machtgefälle. Aber nichts dergleichen. Es ist keinesfalls so, dass der rechtmäßige Besitzer Wikström im vollen Gefühl seiner überlegenen Stellung dem armen Flüchtling mit einem Faustschlag zeigt, wer hier das Sagen hat. Es kommt anders: Der Flüchtling schlägt als erster zu. So wird deutlich, dass Khaled keineswegs als der Hilflose, Schutzlose, deswegen Folgsame oder Anpassungsbereite gezeigt wird sondern er agiert, obwohl körperlich unterlegen, als Erster. Er handelt symbolisch gesprochen auf Augenhöhe. Hier wird eine politische und menschliche Einstellung Kriegsflüchtlingen gegenüber sichtbar, die den Flüchtling als gleichberechtigtes menschliches Wesen zeigt.4) Ein wichtiges Statement angesichts der europäischen Flüchtlingsproblematik.

Khaled mag helfen, dass er, so lässt seine Körpersprache wenigstens vermuten, eine gewisse Boxerfahrung hat oder weiß wie er sich zu wehren hat. Denn im Gegensatz zu Wikström steht er in der typischen Grundhaltung des Boxers, den Oberkörper leicht geduckt, die Fäuste vor der Brust.

Der kurze Kampf, sollte eigentlich ein schlechtes Omen für eine gute Beziehung sein. Es zeigt jedoch den schrägen Humor Kaurismäkis: Er nimmt eine Schlägerei um einen Platz hinter einer Mülltonne als Startpunkt einer von nun an solidarischen, beschützenden und helfenden Beziehung. Der Restaurantbesitzer und sein Team werden im Rahmen ihrer –erstaunlichen- Möglichkeiten und in kurzer Zeit Khaled helfen zu überleben und sogar seine verschollene Schwester wiederzufinden.

Analyse der Dialogsprache

Der Fokus des Essays liegt auf der Frage, wie der #Regisseur mit Sprache im Film umgeht. Welche Art von Sprache verwendet Kaurismäki in dieser Szene. Ist es die gewöhnliche Alltagssprache normaler Menschen oder eine spezielle, für den Film erfundene künstliche Dialogsprache?

Um diese Frage zu klären, versuche ich den Dialog der Prügelszene in normale Alltagssprache zu transformieren um zu prüfen was für den Fortgang des Films sinnvoller ist.

Originaldialog Umgangssprache
WIKSTRÖM: Was bist Du denn für einer? Hey, was hast Du hier zu suchen? Was soll das?
KHALED: I live here. It´s my bedroom. Ich bin obdachlos, kein Dach über dem Kopf, ich will doch hier nur übernachten.
WIKSTRÖM: No way, it's my garbage field. Das geht hier nicht, das ist der Müllcontainer für das Restaurant nebenan. Du hast kein Recht hier zu sein.
KHALED: Says who? Wer bist Du denn? Was geht´s Dich das, was ich hier mache?
WIKSTRÖM: Say I. Ich bin der Restaurantbesitzer, Du verschreckst meine Kunden. Entweder Du verschwindest sofort oder ich ruf die Polizei.
KHALED: You want to fight?. Ich gehe nicht weg, wir können uns ja schlagen.
WIKSTRÖM: But I am bigger. Sieh Dich halbe Portion doch an, Du hergelaufener Schwächling hast keine Chance gegen mich.
KHALED: So what! Das ist mir vollkommem egal.

(Khaled schlägt zu)

Es ist offensichtlich, dass der sparsame Originaldialog die Handlung sehr viel schneller treibt als ein (erfundener) Alltagsdialog. Er ist zwar „aus dem Leben“ gegriffen“, würde aber die lakonische Szene verlangsamen. Das würde einen Tempoverlust mit sich bringen, der den Handlungsverlauf unnötig in die Länge zieht und damit auf die Zuschauer langweilig wirkt.5)

Der auf die wenigen Worte, noch nicht einmal Sätze verknappte Dialog zwischen den beiden Protagonisten findet eine zusätzliche Erklärung darin, dass sich beide nicht in ihrer Muttersprache sondern sich in Englisch verständigen müssen. Weder Khaled noch Wikström beherrschen das nicht übermäßig gut –weder in der Wortwahl noch im Akzent.

Körpersprache und Mimik

Man könnte meinen, dass ein Boxkampf die Gelegenheit für zahlreiche ausdrucksstarke Bewegungen der Schauspieler bietet: Tänzeln auf der Stelle, die Fäuste geballt, den Oberkörper beweglich hin- und her pendelnd - typische Boxerbewegungen eben. Aber keineswegs: Die Körpersprache ist nicht dynamisch, unbeweglich, fast starr. Das ist nicht etwa dem Unvermögen der Schauspieler geschuldet sondern Kaurismäki dirigiert seine Helden ganz bewusst in dieser Weise.6) Diese sparsame Ausdrucksweise, ja Ausdruckslosigkeit ist also gewollt und sie setzt sich auch fort in der Mimik, denn auch diese ist äußerst reduziert. Der stoische Gesichtsausdruck Wikströms ändert sich auch kaum als Reaktion auf den unerwarteten Schlag. Ein leichtes Hochziehen der Stirn zu Falten soll nichts weiter als Überraschung signalisieren- das ist alles, was Wikström körpersprachlich zu bieten hat.


2. Eine (Not-)Unterkunft finden (1: 04- 1:05)

(Wikström links im Bild. Im Hintergrund die Bar aus braunem Holz. Mittig im Bild ein großer Einbauspiegel, rechts davon eine große senkrechte Leuchte mit senkrecht geriffelten Glas, 50er Nostalgie pur. Im Hintergrund ein summendes (Staubsauger)-Geräusch. Portier tritt von rechts ins Bild. (Er hat in der Szene davor den Kühlraum des Restaurants ausgemessen, um herauszufinden ob er Khaled als Schlafplatz dienen könnte.)

PORTIER: „Den Kühlraum hätte man abschalten können, aber da passt er nicht einmal quer hinein.“

(Dabei blickt er an der Kamera vorbei in den Raum. Der Zuschauer soll vermuten dass er auf den staubsagenden Khaled blickt.)

WIKSTRÖM: „ Er kann sowieso nicht hier wohnen. Auch jemand wie ich braucht manchmal seine Ruhe. Wurde ich vielleicht von Gott so geschaffen, dass ich keinen Rückzugsraum brauche? Werde ich nicht verbluten und sterben wenn man mich vergiftet. Bin ich der Geringste unter den Geringsten?“

(Auch Wikström hat zu Beginn seiner Worte den Blick in den Raum gerichtet, der Portier blickt nun aufmerksam Wikström an.)

PORTIER: So, was bin ich denn, wenn Sie als Chef der Geringste sind. WIKSTRÖM Schön, dass Du deinen Platz kennst

(Schnitt)


Inhalt und Bedeutung:

Hier wird die Solidarität und pragmatische Hilfsbereitschaft Wikströms und seiner Mannschaft mit dem Flüchtling dargestellt. Neben einer warmen Mahlzeit für einen halbverhungerten Menschen und dem Angebot eines Hilfsjobs („You want to work?“) in der Szene zuvor, geht die Hilfe weiter: Eine provisorische Unterkunft wird gesucht und zwar im eigenen, geschützten Umfeld. Denn den Flüchtling wieder auf die Straße zu setzen, bringt das Risiko einer Abschiebung, welche die kalt-bürokratischen staatlichen Institutionen bereits zuvor verfügt hatten, der sich Khaled durch seine Flucht bis hin zum Müllcontainer entzogen hatte. Denn noch hat Khaled keine gefälschten „sauberen“ Papiere, die ihn vor diesem Schicksal schützen könnten. So behilft man sich mit den zur Verfügung stehenden Bordmitteln – dem Kühlraum im Restaurant. Als sich dessen mangelnde Eignung herausstellt wird wenig später Wikströms ehemaliger Lagerraum zur Notunterkunft. Besser als gar nichts und man wird später weitersehen.

Aber das reicht dem Regisseur nicht, Er hat dem Dialog eine zweite, absurde Note hinzugefügt: Der durchaus gewährende Chef, der seine Angestellten gleichberechtigt behandelt, markiert hier vollkommen unnötig einen sozialen Rangunterschied. Er wirkt in dieser auf solidarischer Hilfe ausgerichteten Szene recht deplatziert:

PORTIER: So, was bin ich denn, wenn Sie als Chef der Geringste sind.

WIKSTRÖM Schön, dass Du deinen Platz kennst

Handelt es sich doch um ein Land mit einer ausgesprochen und langen sozialdemokratischer Tradition, in dem solche Allüren denkbar schlecht ankommen dürften.


Heterostereotype und Humor

Kaurismäkis reduzierter Einsatz bei den Dialogen kann auch noch anders erklärt werden. Der Regisseur spielt ganz bewusst mit den ausländischen Vorurteilen und dem gängigen Image von Finnland und den Finnen. Die kalte, nordische Kargheit von Land und Leuten spiegelt sich- so das Image- auch in ihrer Sprache wider, bis hin zu einschlägigen besonders trockenen Witzen.7)

Trockenen Humor hat der Regisseur, wenn auch wiederum einen spezifischen. Viele Wortpassagen haben einen ironisch-lakonischen Charakter, bis hin zum Slapstick, Dafür gibt es auch in diesem Film einige Beispiele:

(00: 13.50) Wikström, der seinen Beruf als Textilhandelsvertreter verlassen will bietet einer Geschäftspartnerin seinen Lagerbestand an Herrenoberhemden zum halben Preis an. Sie lehnt ab mit der Begründung:

„Ich werde schließen und gehe nach Mexiko: Da trinke ich Sagre (nicht voll verständlich) und tanze Hula-Hula. Ich vermisse ein bisschen Leben.“

Wie die Faust aufs Auge, passt diese Aussage zu dieser vollkommen durchschnittlichen, unscheinbaren Frau mittleren Alters. Ein sehr skurriler Gegensatz –zumal sie noch nicht einmal weiss, dass der Hula Tanz aus Hawaii stammt und in Mexiko andere traditionelle Folkloretänze populär sind

(00: 43) Ratschlag von seinem Kumpel Mazdak im Asylantenheim: „Bloß nicht auf der Straße lachen, sonst halten sie dich für verrückt“. Dieser Ratschlag spielt besonders deftig mit dem Außenimage der Finnen: Lakonisch, auf keinen Fall zu Gefühl zeigend, wortkarg- jedenfalls in normalen Situationen. Der Regisseur macht sich lustig über seine Landsleute.

(01:07) Wikström im Restaurant zu seinen Mitarbeitern nachdem die Hygienekontrolleure gegangen sind:

“Halb so wild, nur der Gastraum und die Küche wurden bemängelt.“

(Seltsamer geht es kaum: Gastraum und Küche sind die Hauptbestandteile eines Restaurants, wenn hier Mängel auffliegen, droht die Schließung. Aussage und wahre Bedeutung passen überhaupt nicht zusammen- eine der klassischen Definitionen von Witz, weil hier Worte und Realität nicht übereinstimmen).

(01:08) Khaled nach der Hygienekontrolle bei der Befreiung aus der Damentoilette des Restaurants:

„Ein cleverer Hund, ich habe ihm ein wenig Arabisch beigebracht und er ist zum Islam konvertiert; der Buddhismus hat ihn doch etwas enttäuscht. Morgen will er Budapest und Wien belagern.“

(Komik durch Rollentausch: Nicht der Hund sondern allenfalls der syrische Flüchtling (mit Geschichtskenntnissen) könnte dieses übertreibende Statement äußern).

(01.09) Passfälscher zu Wikström über die Qualität seiner Arbeit:

“Dafür kriegt er einen Lebenslauf zurück bis zur Normandie.“

(absurde Prahlerei)

(01.10) Passfälscher zu Khaled beim Erstellen des Ausweis:

“Male or female? “
Khaled: “I don´t understand humor“.

(zitiert die absurde Frage staatlicher Bürokraten, welche diese Frage routinemäßig stellen, obwohl klar ist, wer vor ihnen sitzt.)


3. Der stumme Abschied: „Schweigen ist Gold“
(00:3:30)

Die Ecke einer Küche bei Nacht. Links ragt ein weißer Küchenschrank mit metallenen, rechteckig-länglichen Griffen ins Bild. In der Mitte ein quadratischer Tisch mit einer blassrosa Tischdecke vor einer hellgrünen Wand, rechts neben dem Tisch ein weißer Fensterrahmen, halbverdeckt von einem hellgrünen Vorhang in der gleichen Farbe wie die Wand dahinter. Auf dem Tisch ein grünlicher, kugelförmiger Kaktus in einer braunen Tonschale, darunter ein weißer Suppenteller. Ein Fläschchen Nagellack, Nagellackentferner, links eine Wodkaflasche mit weißem Etikett und einem geripptem Wasserglas, ein gut gefüllter Aschenbecher, rechts davon ein grünliches Einwegfeuerzeig auf einer braune aufgeklappten Zigarettenpappschachtel. Am Tisch frontal eine ältere Frau in einem orientalisch gemustertem Schlafrock in rosa-rot-weiß. Die blonde Frau trägt Lockenwickler, drei kleinere Wickler um die rötlich gefärbten Stirnhaare gedreht. Zigarette im Mund, feilt sie sich den linken Mittelfinger.

(Schnitt)

Von links tritt eine männliche Gestalt im grauen Anzug ins Bild, in der rechten Hand einen altmodischen Koffer: Wikström: Die Frau blickt ausdruckslos-skeptisch zu ihm auf. Wikström verharrt einen Moment, beugt sich langsam und setzt seinen Koffer ab. Die Frau nimmt einen Zug und stößt den Rauchqualm aus. Sie blickt weiterhin ausdruckslos. Wikström nimmt aus der rechten Tasche etwas und führt die Hand zum Tisch.

(Schnitt)

(Großaufnahme auf den Tisch) Wikström legt einen einfachen Schlüsselring mit zwei Sicherheitsschlüsseln auf den Tisch.

(Schnitt)

Szene wie zuvor. Frau blickt ausdruckslos auf den Schlüsselring. Wikström zieht langsam vom linken Ringfinger seinen Ehering ab und legt ihn zu den Schlüsseln. Jetzt erst wird klar, dass die Frau seine Ehefrau ist. Sie folgt der Bewegung, immer er noch mit gleicher Mine. Wikström hebt den Koffer, sein Kopf etwas höher als ihrer (man könnte einen Abschiedskuss auf die Stirn vermuten. Doch nein, er nimmt seinen Koffer und dreht sich nach links aus dem Bild.

(Schnitt) J etzt blickt die Frau ihm nach, während Wikström zur Tür geht und sich ein letztes Mal umdreht. Für zehn Sekunden erblicken wir einen ernsten, leicht finsteren Gesichtsausdruck. Dann wendet Wikström sich zur Tür, geht hinaus und schließt die Tür. Die Frau blickt verblüfft hinter ihm her, wirft den Ehering in den vollen Aschenbecher und drückt ihre Zigarette darin aus. Dann gießt sie aus der Wodkaflasche zu einem knappen Drittel das Wasserglas voll und trinkt einen großen Schluck.

In der gesamten Abschiedsszene sprechen die beiden kein einziges Wort.

Ende bei 00:04:02


Bedeutung

Hier wird das Leitthema der Flucht im zweiten Erzählstrang - nämlich Wikströms Leben- eingeleitet. Während anfangs Khaleds Ankunft im neuen Land Finnland gezeigt wird, „zelebriert“ hier Kaurismäki den Abschied aus einem alten Leben, einer schal gewordenen Ehe. Ganz offensichtlich hat sich das Paar nicht mehr viel zu sagen, genauer gesagt gar nichts. Hier sitzt eine Frau mittleren Alters aus einem (klein-)bürgerlichem Milieu in einer billigen Küche und „macht sich schön“. Einzig auffällig in diesem völlig durchschnittlichen Auftreten ist die im Lockenwickler verborgene knallrote Stirnlocke der Frau. Mimik und Gestik sind funktional auf das Nagelfeilen gerichtet. Die Frau hat einen gelangweilten Gesichtsausdruck und verschönert sie ihr tristes Leben mit Alkohol. Ob es eine Flucht aus dem Alltag ist, sei dahingestellt. Und das Stereotyp, dass in Finnland viel getrunken wird, mag die abendliche Flasche erklären.

Aus der vorherigen Szene, in der Wikström einen kleinen Koffer mit Wäsche seinen persönlichen Gegenständen packte, wissen wir bereits, dass er sich auf eine Reise begeben wird. Dass ein ziemlich endgültiger Abschied geplant ist erfahren wir jetzt. Es geht um den Abschied aus einer Ehe, Das Paar hat seine Phasen des Streits, die Szenen und Tränen, hinter sich gebracht, es bleibt nichts mehr zu sagen. Jetzt kommt der Schluss. Eine allzu große Überraschung scheint der nicht zu sein, denn die Gleichmütigkeit der Frau ist bemerkenswert. Und was bedeutet es, dass sie den Ehering in den gut gefüllten Aschenbecher wirft und ihre Zigarette darauf ausdrückt? Verachtung ? Verzweiflung? Gleichgültigkeit ? Kaurismäki lädt den Zuschauer zum Spekulieren ein. Und ist der kräftige Schluck Wodka der Beginn einer Reise in eine finstere Nacht der Verzweiflung und Depression? Wir wissen es nicht. Jedenfalls wird klar. Um ein Drama zu beschreiben, braucht es keine Sprache.8) Aber es gilt mit Paul Watzlawick der Satz: „Man kann nicht nicht kommunizieren…“.9)


FAZIT

Die Kommunikation –ob gesprochen oder stumm- spielt eine wichtige aber absolut keine entscheidende Rolle. Sie tritt hinter den visuellen Inszenierungsstrategien zurück. Zusammen mit den anderen filmischen Elementen wie Bildausschnitt, Lichtsetzung, Farbdramaturgie, Kameraperspektive etc. ergibt sie ein Gesamtkunstwerk ganz eigenen Stils, den Kaurismäkistil eben, dem viele Betrachter eine spezielle Poetik zuschreiben.

Kaurismäki gestaltet die Dialoge so einfach wie möglich und er benutzt statt einer gesprochenen Alltagssprache seine eigene Dialog-Kunstsprache. Sein Downplaying der Dialoge beschreibt der Meister mit einer seiner typischen ironischen Überspitzungen in einem Interview:“ Am Anfang meiner Karriere dachte ich, sechs Seiten Dialog pro Drehbuch sind genug. Aber selbst das war zu viel. Schließlich begriff ich, worum es geht: Wer braucht schon Dialoge im Kino, solange es Bilder gibt? Mein kühnster Schritt in diese Richtung war ein Stummfilm in Schwarz und Weiß. Das war der Endpunkt. Wenn ich weiter radikal sein wollte, könnte ich nur noch die Bilder wegnehmen. Aber ob das gescheit ist?“10)


Zusammenfassend lässt sich sagen:

Aki Kaurismäki verwendet für die Kommunikation –verbal wie stumm- in seinem Film“ Die andere Seite der Hoffnung“ in zwei der untersuchten zwei Szenen sehr wenig Worte, in der (dritten) frühen Abschiedsszene überhaupt keine. Die beiden Dialogszenen zeigen, mit wie wenig Worten Kaurismäki seine Handlung dramaturgisch vorantreiben kann, die Szene ohne Dialog zeigt, dass auch ohne Sprache sehr aussagekräftige Szenen möglich sind.. Die Sprache Kaurismäkis ist hier dem Bild eindeutig untergeordnet. Auch Mimik und Gestik der zwei Hauptdarsteller sind aufs Minimalste reduziert. Trotz der wenigen Worte gelingen Kaurismäki viele skurrile, humorvolle, ironische Passagen. Mit seinen bewusst eingeschränkten Mitteln der Darstellung erreicht der finnische Regisseur Aki Kaurismäki eine minimalistische, sozusagen hyperfinnische, Intensität und Authentizität seines Films.


Literaturliste

Beil/ Kühne/ Neuhaus: Studienhandbuch Filmanalyse, Wilhelm Fink, München, 2012

Faulstich, Werner: Grundkurs Filmanalyse, 3. Aufl., 2013

Field, Syd: Grundlagen des Drehbuchschreibens ,Autorenverlag Berlin 2007/10

Korte, Helmut: Einführung in die Systematische Filmanalyse, Erich Schmidt Verlag, 4. Auflage, 2010

Leonhardt, Joachim-Felix.(Hgg.): Medienwissen. ein Handbuch zur Entwicklung der Medien, Teil II, de Gruyter, 1999

Stein, Sol: Über das Schreiben, Zweitausendeins, 7. Auflage, 2001

Wahl, Christoph: Das Sprechen der Filme, Diss. Bochum, 2003

Werner, Jochen: Aki Kaurismäki. Mainz 2005

Internetseiten:

https://drehbuchschreiben.org/dialoge-schreiben/

https://www.marx21.de/aki-kaurismaeki-die-andere-seite-der-hoffnung/

http://www.orimattilankirjasto.fi/en/aki-kaurismaki-english/viewpoints-to-films-list

https://www.paulwatzlawick.de/axiome.html

https://www.youtube.com/watch?v=d79vYwh4N1s/ :YouTube-Pressekonferenz Berlinale 2017

1)
Leonhardt, Joachim-Felix.(Hgg.) Medienwissen. ein Handbuch zur Entwicklung der Medien, Teil II, de Gruyter, 1999, 1093
2)
Ebd.
3)
Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Filmdialog als solchem ist spärlich. Das vermerkt trocken ein Handbuch der Medienwissenschaften: „die randliche Rolle der Wortsprache in der Filmliteratur macht es verständlich, dass die Dialoggestaltung im Film bisher von dieser Seite keine Aufmerksamkeit zukam“.Auch, wenn man die Inhaltsverzeichnisse der mir zur Verfügung stehenden studentischen Lehrbücher zur Filmanalyse durchschaut, wird deutlich, für wie wenig bedeutend die Autoren Wortsprache und Dialog im Kontext der Filmanalyse halten. Das Thema kommt analytisch selten vor. Beispiel 1: Helmut Korte „Einführung in die Systematische Filmanalyse“ widmet der Kommunikation durch Worte und Mimik nicht einmal einen Abschnitt, geschweige denn ein Kapitel. Beispiel 2: Beil/ Kühne / Neuhaus, Studienhandbuch Filmanalyse enthält zwar im Kapitel 6 (Bild und Ton im Spielfilm) einen Unterabschnitt 6.2. (Dialog, Geräusche Musik), begnügt sich aber auf Seite 160 mit 11 Zeilen. Beispiel 3:Einzig Faulstich behandelt den Filmdialog im Kapitel 5.2 auf vier Seiten (Gesamtumfang 240 Seiten)
4)
so äußert er sich auch in der Pressekonferenz auf der Berlinale. Selbstverständliche humane Hilfe aus privater Initiative im Gegensatz zur vorher gezeigten sachlicher kalt- neutraler staatlicher Administration des Flüchtlingproblems. Deutschland im Herbst 2015 lässt grüßen
5)
Zum Zweiten raten die einschlägigen „How-to…“ Ratgeber der Drehbuchpraktiker aus Hollywood, z.B.- Sol Stein. Er betont wie schwierig es sei, gute Dialoge zu schreiben und rät, nicht die wenig effiziente Alltagssprache zu verwenden sondern eine künstliche, von manchen als poetisch bezeichnete, Dialogsprache, die es zu erlernen gelte. Zu dieser Auffassung bekennt sich auch der Regisseur in einem Interview, das Jochen Werner im Rahmen seines Buchs ( Werner, Jochen: Aki Kaurismäki. Mainz 2005, Seite 341) mit ihm führte. WERNER:“ Die Dialoge sind hingegen sehr ungewöhnlich. Die Sprache Ihrer Figuren ist keine gesprochene, sondern eine geschriebene. KAURISMÄKI: Für mich ist das normal. Hin und wieder habe ich versucht, eine vermeintlich „normale“ Sprache zu verwenden- jedoch ohne Erfolg. In meinen Ohren klingt die Alltagssprache im Kino idiotisch“.
6)
Auf der Pressekonferenz der Berlinale 2017 nämlich, auf der sein Film vorgestellt wurde, ließ er sich über das Agieren seiner Helden so vernehmen: “I don’t want them to move too much and to shake their hands like windmills“
7)
Kaurismäki selbst macht dazu im Interview mit Jochen Werner einschlägige Angaben. “ Ganz bewusst konterkariere er die Tourismuswerbung, von blauem Himmel, blauen Seen putzigen bunten Häusern oder Rentiere im verschneiten Norden Und resümiert:“ „In Finnland werde ich gehasst, weil ich nicht zu denen gehöre, die für Finnland Reklame machen, indem sie freundlich über das Land der 400.000 Seen reden
8)
http://www.orimattilankirjasto.fi/en/aki-kaurismaki-english/viewpoints-to-films-list/141-rodenas-gabri-the-poetry-of-silence:”Silence in Kaurismäki´s films, as in Jim Jarmusch´s, tells us that words, language, is not indispensable for communication and that there is another language, more human and deeper.”
9)
https://www.paulwatzlawick.de/axiome.html: “Man kann nicht nicht kommunizieren, denn jede Kommunikation (nicht nur mit Worten) ist Verhalten und genauso wie man sich nicht nicht verhalten kann, kann man nicht nicht kommunizieren.
10)
stadtkinowien.at/Media/Uploads/Zeitung/495/stadtkino_495.pdf
die_andere_seite_der_hoffnung/kommunikation_der_protagonisten_-_verbal_und_nonverbal_bernd_katzenstein.txt · Zuletzt geändert: 2019/12/14 15:20 von admin