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Die Rolle des Songs „What He Wrote“ von Laura Marling in Ildigo Enyedis Film „Körper und Seele“ (Ungarn 2017)
(Brigitte Anthes-Kettler)

1. Einleitung

Der Score zum Film „Körper und Seele“, geschrieben vom ungarischen Filmkomponisten Ádám Balázs, ist bewusst minimalistisch gestaltet, ein sparsam eingesetzter Klangteppich ohne erkennbare Melodien. Das macht den/die Betrachter/in umso aufmerksamer, als nach fast 1 ½ Stunden Laufzeit ein unabhängig vom Film entstandener Song erklingt. Dieser Song „What He Wrote“ der englischen Singer-Songwriterin Laura Marling steht im Mittelpunkt der folgenden Analyse. Seine textlichen und musikalischen Eigenarten werden dargestellt und daraufhin untersucht, wie sie zur Charakterisierung der Hauptfigur Mária als handlungsleitendes Motiv eingesetzt werden.

2. Laura Marling und ihr Song

Laura Marling

Da der Song „What He Wrote” eine derart herausragende Stellung im Filmverlauf einnimmt und die Regisseurin große Mühe darauf verwendet, gerade ihn einzusetzen1), soll die Singer-Songwriterin Laura Marling, zu deren Bewunderinnen Enyedi gehört, kurz vorgestellt werden. Diese Informationen gehören strenggenommen nicht in eine Filmanalyse, doch es ergeben sich hieraus Hinweise zum Verständnis des rätselhaften Liedtextes voller poetischer Bilder und Metaphern.2)
Sie wurde 1990 im englischen Hampshire in einer Familie mit musikalischem Hintergrund geboren, spielt Gitarre, Bass und Klavier und singt mit einer kraftvollen, variablen Altstimme. Als Vertreterin des traditionellen Folk und Pop orientierte sie sich früh an Joni Mitchell und legt Wert auf ausgefeilte und poetische Texte. Bereits mit ihrem 2. Album „I Speak Because I Can“ gewann sie 2011 den “Brit Award” als beste englische Künstlerin. Ihre Erziehung in einer Quaker-Schule gab ihr eine Nähe zur religiösen Sphäre, obwohl sie sich nicht als kirchlich gebunden bezeichnet. Als zarte, blonde Person erinnert sie schon äußerlich an Mária, die Hauptperson des Films. Auch ihre Charaktereigenschaften, die sie selbst als zurückhaltend, emotional distanziert, aber auch schüchtern und verletzlich mit tiefen Gefühlen bezeichnet, rücken sie in die Nähe von Mária. Wie sie fühlt sie sich zu schweigsamen Menschen hingezogen, spricht nur, wenn sie muss. In folgender Besprechung eines ihrer Konzerte finden wir Mária wieder, wie sie zu Beginn3) von Enyedi im Film gestaltet wird: „Ice queen or new age guru? Laura Marling takes to the stage in Cambridge dressed all in roomy, androgynous whites, her bleached crop and pale skin almost giving off their own light.”4)

Text des Songs

Der Song “What He Wrote” stammt aus Laura Marlings zweitem Album von 2011. Der Text lässt sich nur – annähernd – verstehen, wenn man seine Entstehungsgeschichte berücksichtigt. Angeregt wurde Marling durch das Studium der Feldpost-Briefe einer Frau an einen Mann, der gegen ihren Wunsch in den 2. Weltkrieg gezogen ist und sie voller Wut und Verzweiflung zurückgelassen hat.

Forgive me Hera, I cannot stay.
He cut out my tongue, there is nothing to save.
Love me? Oh Lord, he threw me away,
He laughed at my sins, in his arms I must stay.

He wrote: “I'm broke. Please send for me.”
But I'm broke in two, and spoken for. Do not tempt me.

Her skin is white, and I'm light as the sun,
So holy light shines, on the things you have done.
So I asked him, how he became this man?
How did he learn to hold fruit in his hands?

And where is the lamb, that gave you your name?
He had to leave, though I begged him to stay.

Left me alone, when I needed the light.
Fell to my knees, and I wept for my life.
If he had ‘ve stayed, you might understand.
If he had ‘ve stayed, you never would've taken my hand.

He wrote: “I'm low. Please send for me.”
But I'm broke in two, and spoken for. Do not tempt me.

And where is the lamb, that gave you your name?
He had to leave, though I begged him to stay,

Begged him to stay, in my cold wooden grip,
Begged him to stay, by the light of this ship
Me fighting him, fighting light, fighting dawn.
And the waves came, and stole him, and took him to war.

He wrote: “I'm broke. Please send for me.”
But I'm broke in two, and spoken for. Do not tempt me.

Forgive me, Hera, I cannot stay.
He cut out my tongue, there is nothing to save.
Love me? Oh lord, he threw me away
He laughed at my sins, in his arms I must stay.

We write, that's alright. I miss his smell.
We speak when spoken to. That suits us well.

That suits us well. That suits me well.

Das lyrische Ich/ die hier-mutmaßlich weibliche – Sprecherin liebt diesen Mann, ist aber einem anderen Mann versprochen, daher bittet sie Hera, die griechische Göttin der Frauen und der Ehe um Vergebung. Sie hat um ihn gekämpft, aber er hat sie allein gelassen, als sie ihn brauchte. Mit ihrem kalten, hölzernen Griff konnte sie ihn nicht halten. Sie sehnt sich nach seiner Nähe („I miss his smell“), aber ergibt sich in ihr Schicksal, schreibt ihm und spricht nur, wenn es sein muss. Jetzt ist sie zum Schweigen verurteilt, nichts kann sie retten („He cut out my tongue, there is nothing to save“). Die mittleren Strophen des Liedes enthalten religiöse Bilder und Vorstellungen, die dieser Mann in ihr wachruft:

“So holy light shines on the things you have done”
“How did he learn to hold fruit in his hands”
“And where is the lamb, that gave you your name?”

Sie drücken Sehnsucht nach der Sanftmut aus, die sie mit diesem Mann verbindet und nun vermisst. Auch er vermisst sie und schreibt: „I‘m low. Please send for me”. Doch sie lehnt verzweifelt ab: „But I’m broke in two, and spoken for. Do not tempt me.”
Das Lied wird in ganzer Länge nur im Abspann gespielt, im Vorspann stimmen uns die ersten Zeilen zusammen mit den Bildern des Hirschpaares im Wald auf die Atmosphäre des Films ein. Im Film selbst verwendet Enyedi nur die ersten sieben Zeilen, deren Text auch ohne den Kriegshintergrund auf die Handlung bezogen werden kann. Inhalt und Stimmung des gesamten Liedes lassen sich jedoch in verschiedenen Elementen des Filmes wiederfinden, z.B. die religiöse Symbolik der Tierbilder in den Hirschen und die Unfähigkeit der Hauptfigur zu liebevollem Kontakt („my cold wooden grip“) bei gleichzeitiger Sehnsucht nach Nähe („I miss his smell“).

Musikalische Gestaltung

Dem Grundton der Verzweiflung im Text entspricht seine musikalische Umsetzung durch Laura Marling. Die getragene, einfache Melodie erinnert an ein Kirchenlied zu einem traurigen Anlass. Den jambischen Rhythmus des Textes setzt sie in einen wiegenden, tröstlichen 6/8 Takt, das Tempo ist Andante und die Tonart Moll. Diese Eigenarten der Musik finden wir z.B. in der 1. Arie der Bach‘schen Kantate „Ich habe genug“, die auch Bestandteil der anglikanischen Liturgie ist. Sie drückt Verzweiflung am Leben und Todessehnsucht, Sehnsucht nach einem besseren Leben im Jenseits aus. Die religiösen Bilder des Textes fügen sich hier ein.
Laura Marling begleitet sich selbst auf der Gitarre, singt mit sanfter, trauriger Stimme, fast als spräche sie zu sich selbst. Im weiteren Verlauf des Liedes variiert sie die Melodie und verziert einzelne Töne in der Art des gälischen Sean-Nos-Gesangs. In einigen Strophen wird sie von leisen Frauenstimmen (background singers in vocal harmony) begleitet.

3. Der Einsatz des Songs im Film

Einordnung in die vorausgehende Filmhandlung

Die beiden Hauptfiguren des Films, Endre, der etwas ältere Finanzdirektor eines Schlachthofes und Mária, eine neu eingestellte, junge Fleischkontrolleurin, haben sich im Verlauf des Films einander angenähert. Endre, ein bedächtiger, zurückhaltender Mann mit einem gelähmten Arm, fühlt sich von Beginn an von Maria angezogen. Diese scheut zunächst alle sozialen Kontakte in ihrem neuen Betrieb. Sie lächelt nie und wird von Ihren Kolleginnen und Kollegen als „Schneekönigin“ bezeichnet, mit ihrem blonden langen Haar, der schlanken Figur, der schlichten, hellen Kleidung und ihrer strengen, überkorrekten Dienstauffassung.
Das ändert sich erst im Laufe einer polizeilichen Ermittlung im Schlachthof. Durch die Befragung einer Psychologin zu ihrem Sexualverhalten stellen beide zu ihrer Überraschung fest, dass sie nachts wiederholt denselben Traum haben: als Hirsch und Hirschkuh streifen sie gemeinsam durch einen winterlichen Wald. Jetzt fühlt auch Mária sich zu Endre hingezogen, aber es fällt ihr schwer, sich bei einem Treffen in seiner Wohnung auf einen körperlichen Kontakt mit ihm einzulassen. Sie schreckt zurück, als er sie im Gespräch beim Kartenspiel spontan am Arm berührt (1:18:30). Er ist verärgert, brüskiert, fühlt sich abgelehnt und vermeidet von nun an jeden Kontakt mit ihr.
Mária ist erschrocken und traurig über seine Reaktion und sucht Rat bei ihrem Kinderpsychologen, der sie wegen ihrer, wenn auch nicht sehr schwerwiegenden Form von Autismus wohl schon lange betreut hat. Er weiß, dass Berührungen für sie ein Problem sind und rät ihr, diese an sich selbst und an Gegenständen zu üben. Er empfiehlt auch Musik, da sie dazu beitragen könne, die Stimmung zu beeinflussen (1:20:42). Marias Besuch beim Kinderpsychologen macht uns deutlich, dass sie emotional noch auf einer kindlichen Entwicklungsstufe steht.
Als nächstes geht sie in ein Musikgeschäft, unerfahren und ratlos, was sie wählen soll. Schließlich fragt sie die Verkäuferin nach „Liebesmusik, Musik für Menschen, die sich lieben“. Verwundert und amüsiert empfiehlt diese ihr ihre eigene Lieblingsmusik, Laura Marlings „What He Wrote“. Für sie ist es, wie für die meisten Menschen, spätestens seit der Pubertät selbstverständlich, Hilfe zum Ausdruck ihrer Gefühle vor allem in der (populären) Musik und ihren Texten zu finden.

Detailanalyse des Musikeinsatzes in der Sequenz 1:24:10 – 1:25:15

Vom Musikgeschäft blendet die Kamera ohne Übergang in Márias abendliche Wohnung. Das erste Bild zeigt in Großaufnahme einen rundlichen, tragbaren CD-Player mit geöffneten CD-Fach. Er steht auf einer weißen Tischplatte vor einer hellen Wand, von hinten oben rechts sanft beleuchtet. Gefilmt ist er durch die Armbeuge links an Márias Rücken vorbei, die mit der rechten Hand den Deckel schließt und mit der linken dann zart den Startknopf drückt.
Das Gitarrenvorspiel der Musik beginnt und eine weitere Kamera in Tischhöhe zeigt uns jetzt Mária von der Seite in der Halbtotale. Sie sitzt in heller Kleidung, konzentriert und leicht vorgebeugt auf einem Schreibtischstuhl. Die Hände liegen flach auf den Oberschenkeln, die Augen schauen geradeaus ins Leere. Vor ihr steht auf dem Schreibtisch der CD-Player, von oben rechts beleuchtet von einer dunklen Schreibtischlampe, dahinter wohl geordnet ein paar Schreibutensilien. Márias Gesicht und Oberkörper sind ebenfalls von rechts vorne nur leicht beleuchtet, die uns zugewandte Seite bleibt im Halbschatten. Gerahmt wird dieses Bild links und rechts durch weiße Fensterrahmen und dünne, sich im Wind leicht bewegende Vorhänge. Im Hintergrund sehen wir den unteren Teil eines geschlossenen Fensters, in dessen dunklem Glas sich kaum erkennbar Elemente des Raumes spiegeln und ihm Tiefe verleihen. Diese Umgebung, dieser enge, streng gerahmte Raum, mit dem Licht konzentriert auf das Gerät, aber dennoch geöffnet nach außen in die Dunkelheit der Nacht unterstreicht die Konzentration und die Erwartung, mit der sich Mária auf die Musikerfahrung einlässt.
Mit Beginn des Liedes und damit einsetzenden Gesangs neigt sich Márias Körper ganz leicht nach vorne und die Augen bewegen sich hin und her. Sie folgt jetzt konzentriert dem Text „Forgive me Hera, I cannot stay“. Während der nächsten Textzeilen
„He cut out my tongue, there is nothing to save.
Love me? Oh Lord, he threw me away,
He laughed at my sins, in his arms I must stay”

beobachtet die Kamera nicht mehr Mária, sondern fährt langsam auf eine rote, gegliederte Deckenleuchte vor grau-blauem Hintergrund zu, das Rot der Lampe, so ließe sich mutmaßen, als Symbol für Liebe und auch für Gefahr. Wir folgen jetzt dem Text des Liedes und der Gedankenwanderung Márias. Es ließe sich mutmaßen, dass sie Angst hat nichts mehr sagen zu können, ausgelacht und verstoßen zu sein, nicht mehr zu retten. Die musikalische Klage der ihr so ähnlichen, verzweifelten Frau im Lied hat ihre Gefühlsabwehr durchbrochen. Die folgende Geste vermittelt den Eindruck, als wünsche sie sich, in den Armen des geliebten Mannes zu bleiben. Sie umfasst mit beiden Händen das vermittelnde Gerät, den CD-Player, wieder gezeigt in Großaufnahme durch ihre linke Armbeuge hindurch. Diese Berührung ist für sie ein besonderer Schritt und Zeichen für ihre emotionale Öffnung.
Im Lied schreibt der Mann, dass es ihm schlecht gehe „He wrote:‘I’m broke“ und dass seine Partnerin ihn zu sich holen solle „Please send for me“. Bei diesen Worten löst Mária ihr Hände vom CD-Player. Sie wird jetzt wieder in der Halbtotale gezeigt, wie sie nach „But I’m broke in two, and spoken for“ das Gerät abstellt, so als könne sie die Musik nicht mehr ertragen. Sie sitzt gerade auf ihrem Stuhl, die Hände stützen sich auf den Schoß, die Augen gehen hin und her, der Mund ist leicht geöffnet und sie atmet schwer. Sie ist sichtbar bewegt, da sie sich in diesem Lied wiedergefunden hat. Die sanfte, melancholische Musik verleiht ihrer Trauer über die Zurückweisung Ausdruck, und es liegt nahe, dass sie im Text findet sie ihre verzweifelte Angst wiederfindet, den geliebten Mann zu verlieren. Durch die letzten Zeilen, die sie hört, erkennt sie auch seine Verzweiflung und fühlt sich aufgefordert, ihm näherzukommen und ihre tiefe Scheu vor Berührung und Zärtlichkeit zu überwinden. „Please send for me“ erschüttert sie und gibt ihr keine Ruhe mehr. Sie muss jetzt etwas tun.

Nachwirkungen in der anschließenden Filmhandlung

Die emotionale Erschütterung durch die Musik bewirkt in Mária einen Aufbruch, den Wunsch sich weiteren sinnlichen Erfahrungen auszusetzen. Sie, die in einer klinisch reinen Umgebung lebt und jedem Sonnenstrahl ausweicht, geht nun in den Park und beobachtet ganz aus der Nähe und ohne Scheu Liebespaare, die sich umarmen und liebkosen. Sie legt sich ins Gras und ertastet die Pflanzen, genießt es, vom Sprenger beregnet zu werden. Zuhause – witzig anzuschauen - legt sie ihre Hand ins Püree, knetet es um ein Gefühl für die Weichheit zu bekommen, und im Schlachthof amüsieren sich die Kollegen, dass sie plötzlich das Fell der gefangenen Rinder streichelt. Sie kauft sich ein großes Stofftier, einen Panther (er sieht Endre ein bisschen ähnlich), nimmt ihn mit ins Bett und liebkost sich mit seinen Pfoten am ganzen Körper. So bereitet sie sich auf eine neue Begegnung mit Endre vor.
Er hingegen wird gezeigt, wie er, unzufrieden vor allem mit sich selbst, immer trauriger und zorniger wird und sich in sich selbst zurückzieht.
Als Maria ihm dann im Speisesaal des Schlachthofes anbietet, am Abend zu ihm zu kommen, lehnt er dies ab und sagt ihr, dass er nur noch freundschaftlichen Kontakt zu ihr haben möchte.
Diese Zurückweisung durch den ersten Mann, den sie jemals geliebt hat, hat sie nicht erwartet nach ihrer Vorbereitung, in ihrer Hoffnung, ihm ihre Gefühle jetzt auch in körperlicher Nähe zeigen zu können. Gerade weil sie sich ihm geöffnet hat, die Sicherheit ihres streng geregelten Lebens verlassen hat, ist sie jetzt umso verletzlicher. Es erschüttert sie so sehr, dass sie beschließt, ihrem Leben ein Ende zu setzen (ab 1:34:54). Wir beobachten, wie sie ihre Wohnung für einen endgültigen Abschied aufräumt, Wasser in die Badewanne laufen lässt, eine Glasscherbe bereitlegt und den CD-Player neben die Wanne auf den Boden stellt. Sie steigt nackt in die Wanne und startet das Lied von Laura Marling. Bei „He cut out my tongue, there is nothing to save” schneidet sie sich die Pulsadern am linken Arm auf und legt ihn ins Wasser. Endre hat sie zum Schweigen gebracht, sie ist nicht mehr zu retten. Das Lied spricht jetzt für sie, spendet ihr Trost und begleitet sie auf dem Weg in den Tod. Die Kamera zeigt ihr trauriges Gesicht, während sie zuhört.
Nach „Her skin is white” hört der CD-Player plötzlich auf zu spielen. Sie betrachtet ihr eigenes Blut, wie es sich im Wasser ausbreitet. Da klingelt das Telefon im anderen Raum, sie springt aus der Wanne und nimmt an. Es ist Endre, der ihr seine Liebe erklärt.
Am Ende des Films, nach einer glücklichen Nacht, die all ihre Wünsche erfüllt hat, sitzen beide in Endres Wohnung am Frühstückstisch. Jetzt setzt die Regisseurin kurz ein anderes Lied von Laura Marling ein: „My Manic And I“ (2008), das von der Beziehung zu einem todessüchtigen Mann handelt. Es läuft im Radio und Endre wechselt rasch den Sender. Beide sind fröhlich und lachen über die blutspritzenden Tomaten, die sie aufschneidet. Er beobachtet aufmerksam, wie sie sorgfältig, fast zwanghaft, die Krümel wegstreicht, die er hinterlassen hat. Einfach wird es nicht!

4. Fazit

Wie in Kapitel 3 versucht wurde nachzuweisen, ist das Lied „What He Wrote“ von Laura Marling nicht nur handlungsleitend für Maria, sondern auch das Thema „Körper und Seele“ findet in seinem Einsatz einen besonderen Ausdruck.
Beide Hauptfiguren des Films sind körperlich und seelisch versehrt. Endre fühlt sich alt und hat sich wegen seines gelähmten Arms und seiner zerbrochenen Beziehungen zurückgezogen. Maria führt ein streng geregeltes Leben in geordneter Umgebung und meidet den Kontakt mit Menschen und Gefühlen, um sich selbst zu schützen. Für den/die Zuschauer/in wird durch den Besuch bei ihrem Kinderpsychologen sichtbar gemacht, dass sie eine Autistin mit Asperger-Syndrom ist.
Beide verlieben sich ineinander, doch als Endre versucht, ihr körperlich nahezukommen, kann er, in Unkenntnis ihrer Veranlagung, ihre Verweigerung nicht als äußeres Symptom, sondern nur als Zurückweisung und Verletzung deuten. Dies wiederum erschreckt sie so sehr, dass sie dem Rat ihres väterlichen Psychologen folgt und sich bewusst und mit Konzentration auf die für sie neue Erfahrung mit der Musik einlässt. Sie, die sonst keine Musik mag, ist überwältigt davon, dass dieses Lied etwas in ihr zum Ausdruck gebracht hat. Musik und Text lassen Empfindungen, Sehnsüchte und Fantasien frei, die sonst in ihrem Körper verschlossen sind. Sie sind Antrieb und spenden Energie, ihr gewohntes Leben mit seinen strengen Strukturen aufzubrechen, ihre Sinne zu schulen, ihre Gefühle zuzulassen, um einem geliebten Menschen auch körperlich nahe sein zu können. Auch in dem Moment als sie, von Endre erneut zurückgewiesen, versucht, sich das Leben zu nehmen, Seele und Körper auszulöschen, wählt sie die Musik als tröstlichen Begleiter.

1)
Rudolf Amstutz, „Lyrik ist wie Dynamit!“, Interview mit Ildikó Enyedi und ihrer Hauptdarstellerin Alexandra Borbély, the-title.com, 07.12.2017
2)
Andy Gill, “Laura Marling – All hail the Queen of Folk”, The Independent Culture, Friday 2 September 2011
3)
Márias Kollegen im Schlachthof nennen sie „Schneekönigin“ wegen ihrer Unnahbarkeit.
4)
Kitty Empire, “Laura Marling review”, Observer, 22 March 2018
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