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Schuld und Lüge als zentrale Themen von Ozons Film ‘Frantz‘ (Barbara Maubach)

Die Themen Schuld und Lüge sind zentrale Themen von Ozons Film und werden auf verschiedenen Ebenen abgehandelt. Einerseits auf der persönlichen Ebene der Figuren, die wegen der Unwahrheit und Lüge, in der sie miteinander leben, schuldig werden und sich auch so fühlen; andererseits gilt diese Schuld auch für die gesellschaftliche Ebene der Völker, die miteinander Krieg führen und einander hassen. Dabei sind Lüge und Schuld eng miteinander verbunden und gleichzeitig ohne die Perspektive der Vergebung und Versöhnung nicht zu denken. Und bei näherer Betrachtung lösen sich die Begriffe in ihrer Eindeutigkeit von ‘gut‘ und ‘böse‘ auf und lassen sich nicht mehr klar zuordnen.

Auf der persönlichen Ebene wird Adrien schuldig, indem er, eigentlich überzeugter Pazifist, den ‘Feind Frantz‘ in einem Granattrichter tötet. Der Schuss, den er abgibt, geschieht aus Angst und einem Reflex als Folge einer völlig überraschenden Begegnung. Er fühlt sich zutiefst schuldig, getötet zu haben, und legt sich mit einer liebevollen Umarmung über den angeblichen Feind, dessen Waffe nicht geladen ist, weil er mit solcher Konsequenz Pazifist ist, dass er den eigenen Tod einer Tötung vorzieht. Adrien sagt von dieser für ihn unerträglichen Erfahrung: „Frantz ist meine einzige Wunde“. Die aus tiefem Schuldbewusstsein entstehende Sehnsucht nach Heilung und Entlastung von dieser Schuld führt ihn nach Deutschland. Er macht sich auf den Weg zu Frantz Familie‘, in der aufrichtigen Absicht, seine Schuld zu gestehen und Verzeihung zu erbitten. Die Begegnung mit den Eltern Hoffmeister und der Verlobten Anna führt zunächst unabsichtlich zu der Lüge, dass er als Frantz‘ Freund komme. Ihm wird diese Erklärung von der Mutter und der Verlobten quasi nahe gelegt, und Adrien lädt neue Schuld auf sich, indem er sich auf dieses Wunschdenken einlässt und damit eine falsche und unwahre Welt aufbaut. Die Eltern Hoffmeister nehmen ihn an Frantz‘ Statt als ihren Ersatzsohn an und er klärt trotz aller Schuldgefühle diese Lüge zunächst nicht auf. Als er Anna, gequält von seiner Schuld, die Wahrheit offenbart, sagt sie zu dieser Unwahrheit, „Sie haben ihnen Gutes getan.“

Die Aufklärung der Lüge gegenüber Anna führt zum Bruch der Beziehung und zugleich dazu, dass er den Eltern Hoffmeister gegenüber nicht die Wahrheit bekennen kann. Anna verhindert die Klärung, weil sie den Eltern den Schmerz des Verlustes eines ‘Ersatzsohnes‘ ersparen möchte. Adrien weiß aber nicht, dass sein Versuch zu bekennen und ihre Verzeihung zu erbitten, unter Annas Lüge verborgen geblieben ist. Anna entlässt ihn in die Vorstellung, die Eltern hätten ihm vergeben. Es entsteht ein Gespinst von Unwahrheiten und falschen Erwartungen, in dem die Protagonisten einerseits schuldig werden, zugleich aber voller Mitgefühl einander schützen. Anna belügt die Eltern Hoffmeister, um ihnen Schmerz zu ersparen, trägt aber voller Schuldbewusstsein ihre Lüge in den Beichtstuhl, wo der Priester sie in großem Verständnis für ihre Beweggründe von ihrer Schuld losspricht. Dass diese Lüge nach einer langen Phase der Auseinandersetzung mit Adriens Schuld und seinem Versuch, Vergebung zu suchen, letztlich den Raum dafür eröffnet, in dem Anna ihrer Zuneigung zu ihm nachgeben kann, gehört zu den Ambivalenzen, die Ozon mit der Vorstellung von Schuld und Lüge verbindet. Obwohl die Protagonisten sich ihrer Schuld bewusst sind, sind die Ergebnisse ihre Tuns nicht einfach böse oder gut, es entsteht daraus die Möglichkeit von Erlösung und Befreiung.

Für Anna entsteht aus der Konsequenz der Lüge gegenüber den Hoffmeisters die Reise nach Frankreich und damit eine neue Lebensperspektive, die einer Befreiung aus der Enge Quedlinburgs zu einem selbst bestimmten Leben gleich kommt.

Frau Wieschermann weist in ihren Überlegungen zu Licht und Farbe darauf hin, wie die Uneindeutigkeit der Gegebenheiten in Bilder umgesetzt wird und dabei sanfte Farben und Übergänge eine nicht deutliche Realität abbilden. Übergänge sind fließend, Zwischentöne spielen eine wichtige Rolle. Wahrheit und Lüge entziehen sich einer zumindest moralisch eindeutigen Bewertung. Wahrheit ist nicht immer gut oder heilend, die Phantasie ermöglicht u.U. eine heilende Fiktionalität.

Die Frage der Schuld gilt auch für Magda Hoffmeister. Trotz aller Herzlichkeit und Liebenswürdigkeit wird sie schuldig in ihrer Sehnsucht nach Heilung und heiler Welt. Sie bedrängt Adrien mit ihrer Idee, er sei ein Freund von Frantz, was dazu führt, dass er dieses Angebot zunächst als Notlüge aufnimmt. Gegenüber der ersten harschen Ablehnung des Vaters Hoffmeister, ist dieses Angebot der Mutter eine deutliche Geste der Versöhnung auf dem Hintergrund einer zutiefst feindlichen Haltung, die Menschen in Frankreich und Deutschland gegeneinander hegen. In dieser Tradition steht der Vater, Hans Hoffmeister, der seinen Sohn in den Krieg schickte und dem Feind voller Hass und Verhärtung die Schuld am Tod des Sohnes gibt. Diese Schuld teilen die Eltern auf beiden Seiten der Grenze, sie schicken ihre Söhne in den Kampf und weisen einander die Schuld an deren Tod und an den Zerstörungen des Krieges zu. Im Film wird das an der Stammtischrunde des Hans Hoffmeister und an der Familie Adriens deutlich. Dabei entwickelt sich Hoffmeister durch die Begegnung mit Adrien zu einer herausragenden Person, die einen bemerkenswerten Lernprozess durchläuft. Er kommt zur Erkenntnis der eigenen Schuld, zu der er sich trotz aller Anfeindungen bekennt. Er ist fähig, Adrien als einem Franzosen zu vergeben und ihn als Freund des Sohnes anzunehmen, was in der Geste, ihm Frantz‘ Geige zu schenken, ein Geschenk der Versöhnung ist.

Auch auf der Ebene des Krieges zwischen den beiden Völkern wird die Schuld auf beiden Seiten deutlich. In tiefem Hass gegeneinander intonieren die Menschen ihre chauvinistisch gestimmten Nationalgesänge, die den Hass auf das Nachbarvolk ausdrücken. Adrien erfährt die krude Ablehnung der Menschen in Quedlinburg, die ihn als Franzosen anfeinden und Anna spiegelt sich im Zugfenster, als sie durch die zertrümmerten Städte Frankreichs fährt. Sie erscheint inmitten dieser Zerstörung, die von den Deutschen verschuldet wurde, und sie wird eingebunden in diese Schuld der Deutschen an diesem Krieg.

Schuld ist unausweichlich. Alle Protagonisten sind auf irgendeine Weise darin eingebunden. Sie kommen nicht ohne sie durch Leben. Die Frage ist, wie sie damit umgehen, wie sie sich ihr stellen und damit Heilung und Vergebung erreichen. Das ist die Frage, die der Film uns Zuschauern stellt.

schuld_und_luege_als_zentrale_themen_in_ozons_film_frantz_barbara_maubach.txt · Zuletzt geändert: 2018/03/29 17:15 von admin