Mit dem Attentat auf den ehemaligen Premierminister Abe Shinzô 安倍晋三 (1954-2022) am 8. Juli 2022 endete der Lebensweg einer Persönlichkeit, die die aktuelle Politik Japans nachhaltig prägte. Neben dem als Abenomics bekannten Wirtschaftsprogramm steht sein Name für das Bestreben einer Verfassungsrevision, welche Japans pazifistische Nachkriegsordnung grundlegend verändern soll.
Mit Abes Verteidigungspolitik erklärten Sicherheitsexperten Japans Nachkriegspazifismus für „tot“ und seine institutionellen Reformen wurden als die umfassendste Reorganisation von Japans Außen- und Sicherheitspolitik seit Ende des Zweiten Weltkriegs beschrieben. Unter Abe wurden von der Regierung seit 2012 zahlreiche Reformen von Institutionen der nationalen Sicherheit durchgeführt. Besonderer Fokus lag auf der Verbesserung der japanischen Verteidigungskräfte im Sinne einer Abschreckungspolitik, auf der Stärkung der U.S.-japanischen Beziehungen sowie auf dem Ausbau der Sicherheitskooperationen mit nicht-amerikanischen Partnern.
Die wichtigste Änderung der Abe-Regierung im Bezug auf die japanische Sicherheitspolitik war die Neuinterpretation des Artikels 9 der Verfassung, welcher Japan als pazifistische Nation definiert. Mithilfe dieser Neuinterpretation wurde die Rolle der Verteidigungskräfte erweitert, sodass sich ihre Aktivitäten nicht mehr bloß auf reine territoriale Verteidigung beschränkten, sondern nun die Selbstverteidigungsstreitkräfte (Jieitai 自衛隊) auch an der Seite von Verbündeten außerhalb Japans eingesetzt werden können. Abes Ziel war die vollständige Abschaffung des Artikels 9, jedoch ließ sich dafür bisher keine parlamentarische Mehrheit finden. Doch das Kräfteverhältnis verändert sich im Angesicht aktueller globaler Krisen zugunsten der Partei Abes, der Liberaldemokratischen Partei (LDP; Jiyûminshutô 自由民主党).
Nach der kurzen Amtszeit von Suga Yoshihide 菅義偉, der nach Abes überraschendem Rücktritt im September 2020 das Amt des Premierministers übernahm, und dem Amtsantritt von Kishida Fumio 岸田文雄, ehemals Außenminister in der Abe- und Suga-Administration, im Oktober 2021 ist die zukünftige Ausrichtung der japanischen Politik noch nicht ganz klar ersichtlich. Während Kishida sich für die Verfassung als „Friedenskonstitution“ ausspricht und die Wichtigkeit des Friedens in Reden oft betont, verfolgt er gleichzeitig ähnliche diplomatische Ziele wie zuvor Abe und Suga, insbesondere in der Außenpolitik. Der Krieg in der Ukraine, die Spannungen mit China und die Bedrohungen aus Nord-Korea treiben den Schulterschluss Japans mit den USA und Europa weiter voran.
Im Licht dieses politischen Wandels und der Gefahr einer Revision des Artikel 9 rückt die Relevanz der lückenhaften Aufarbeitung der Kriegszeit in Japan erneut in den Vordergrund.
„Unser Land hat verloren. Unser Volk hat während des langen Krieges schrecklich gelitten. Die Armee hat unser Volk unterdrückt, einen unmöglichen Krieg geführt und damit das Unglück über uns gebracht.“ (MONBUSHÔ 1946, S. 51)
In diesen knappen Worten wird die Kriegszeit in Japan im Schulbuch Kuni no ayumi くにのあゆみ von 1946 beschrieben. Unklar bleibt, ob das Unglück die Niederlage, das Leid oder der Krieg als solches war. Diese Mehrdeutigkeit ist bezeichnend für die historische Eingrenzung des von Japan ausgehenden Krieges in den 1930er und 1940er Jahren. Auch die Benennung des Krieges ist nicht eindeutig, denn sie ist abhängig von der Chronologie und politischen Perspektive. Spricht man vom 15-jährigen Krieg (Jûgo'nen sensô 十五年戦争), wird der Beginn mit dem Mandschurei-Zwischenfall (Manshû jihen 満州事変) von 1931 angesetzt und vor allem im linken Spektrum von einem imperialistischen Ursprung des Krieges ausgegangen. Der Begriff Sino-Japanischer Krieg (Nitchû sensô 日中戦争) bezeichnet die Zeitspanne zwischen 1937 und 1945, beginnend mit der militärischen Auseinandersetzung an der Marco-Polo-Brücke in der Nähe von Peking. Es folgte eine Generalmobilmachung in Japan, wodurch das Militär nun endgültig die Macht übernahm und das Parlament faktisch ausschaltete. Der Pazifische Krieg (Taiheiyô sensô 太平洋戦争) schließlich lässt den Krieg mit dem Angriff auf Pearl Harbor, Hawaii, und der Landung auf der malayischen Halbinsel im Jahr 1941 beginnen. Mit dieser in der Nachkriegszeit üblichen Bezeichnung ist es möglich, die Kriegshandlungen in China auszublenden und die Verantwortung für die Gräueltaten in den Hintergrund treten zu lassen. Die japanische Regierung selbst bezeichnete den Krieg als Großasiatischen Krieg (Daitôa sensô 大東亜戦争), dessen Ziel laut japanischer Propaganda die Befreiung Asiens vom Kolonialismus war. Da der Begriff in einem engen Zusammenhang mit der Großasiatischen Wohlstandssphäre (Daitôa kyôeiken 大東亜共栄圏) stand, wurde er in der Besatzungszeit verboten, wird heute aber von rechtsgerichteten Geschichtsrevisionisten verwendet.
Einigkeit besteht jedoch beim Ende des Krieges: die Radioansprache von Kaiser Hirohito am 15. August 1945. Dieser Zeitpunkt ist in das kulturelle Gedächtnis Japans eingeschrieben.
„The end of war was also a beginning. Noon, August 15, 1945 - the time of the surrender broadcast was inscribed in Japanese memory as the fictive moment when the past ended and the present began.“ (GLUCK 1993, S. 64)
Hiermit beginnt die Nachkriegszeit, jedoch besteht keine Einigkeit, bis wann der Begriff Gültigkeit besitzt. Im Jahr 1956 verkündete der Ökonom Gotô Yonosuke 後藤誉之助 (1916-60) im Weißbuch zur wirtschaftlichen Entwicklung, dass „die Nachkriegszeit längst vorbei“ sei (mohaya sengo de wa nai もはや戦後ではない), da die Produktivität der japanischen Wirtschaft Vorkriegsniveau erreicht hatte. Doch besteht keine Einigkeit, ob diese Begrenzung der Nachkriegszeit tatsächlich zutrifft. Auch die Durchführung der Olympischen Spiele 1964 in Tôkyô wird als Wendepunkt begriffen, da Japan hier seinen Fortschritt als friedliche Nation zeigen konnte. Mit der Expo 70 in Ôsaka wird der Friedensnation noch eine Zukunftsvision hinzugefügt, welche auf traditionellen Werten fußt. Die Modernisierung des Landes bildet ein gängiges Narrativ für die Nachkriegszeit; eine Modernisierung, die mit der Meiji-Restauration 1868 begann, jedoch zunächst nicht zum gewünschten Ziel, sondern in den Krieg führte, konnte nun in der Nachkriegszeit vollendet werden und allen Menschen in Japan wirtschaftlichen Erfolg bringen. Auch wenn in den 1970er Jahren die Wirtschaft durch die weltweite Ölkrise kurzzeitig stockte, konnte dies noch nicht den Modernisierungsmythos zerstören. Erst mit dem Zerplatzen der sogenannten bubble economy zu Beginn der 1990er Jahre stagniert die Wirtschaft und die anhaltende Rezession belastet die gesamte Gesellschaft. Der Zeitpunkt könnte symbolischer kaum sein, starb doch 1989 Kaiser Hirohito, der wie kein anderer für die Kriegszeit, aber auch die Nachkriegszeit stand. International ist mit dem Fall der Berliner Mauer und dem anschließenden Ende des Kalten Krieges sowie der Auflösung der Sowjetunion ebenfalls ein Wendepunkt erreicht, der die gesamte Weltordnung in eine Findungsphase stürzt. Dennoch gibt es bis heute Stimmen, die die Nachkriegszeit noch nicht für beendet halten. Wolfgang SCHWENTKER plädiert daher dafür, von zwei Nachkriegszeiten zu sprechen:
„einer Nachkriegszeit, die in den Bereichen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu je unterschiedlichen Zeiten zu Ende gegangen ist, und einer Nachkriegszeit, die - je nach politischem Standpunkt - einfach nicht vergehen will oder nicht vergehen soll.“ (SCHWENTKER 2017, S. 169)
Nach der Rede von Kaiser Hirohito im Radio und der Verkündigung der Kapitulation Japans beginnt nicht nur die Nachkriegszeit. Sowohl die Politik als auch die Gesellschaft müssen sich mit dem Krieg als nationale Vergangenheit auseinandersetzen. Während in Deutschland erste offensichtliche Täter anhand ihres Parteibuchs identifiziert werden konnten, gestaltete sich die unmittelbare juristische Aufarbeitung in Japan schwieriger. Alleine der Umgang mit Kaiser Hirohito und seine zukünftige Rolle in einem demokratischen Japan mussten entschieden und konsequent umgesetzt werden. Letztendlich blieb der Kaiser von einer direkten Anklage als Kriegsverbrecher verschont, da eine Absetzung des Kaisers oder gar die Abschaffung des Kaiserhauses in der bereits verunsicherten Bevölkerung Unruhe hätte auslösen können. Mit der neuen Verfassung wurde jedoch dem Kaiser die Göttlichkeit aberkannt.
Unter der Leitung des Oberbefehlshabers der alliierten Streitkräfte General Douglas MacArthur (1880-1964) begann die Besatzungsmacht, die politischen und militärischen Hauptverantwortlichen für den Pazifischen Krieg auszumachen und zur Verantwortung zu ziehen. Im April 1946 erhob der Internationale Militärgerichtshof für den Fernen Osten (Kyokutô kokusai gunji saiban 極東国際軍事裁判) Anklage gegen 27 Politiker, Diplomaten und Staatsbeamte wegen Führen eines Angriffskriegs und wegen Kriegsverbrechen. Daneben wurde auch der Nationalist Ôkawa Shûmei angeklagt. Der ehemalige Premierminister Tôjô Hideki 東條英機 (1884-1948) und sechs weitere Angeklagte wurden zum Tode verurteilt, die meisten anderen Angeklagten erhielten lebenslange Haftstrafen - sie wurden alle in den 1950er Jahren aus der Haft entlassen. Neben den sogenannten Tôkyôter Prozessen (Tôkyô saiban 東京裁判) gegen die Klasse-A-Kriegsverbrecher fanden weitere Prozesse gegen Kriegsverbrecher der Klassen B und C statt.
Für die japanische Bevölkerung bedeutete das Kriegsende vor allem Mangel und Not, so dass sich - besonders als das Ausmaß der Zerstörung nach den Atombombenabwürfen über Hiroshima und Nagasaki bekannt wurde - ein Bewusstsein als Opfer des Krieges (higaisha ishiki 被害者意識) durchsetzen konnte. Individuelle Verantwortung oder Schuld wurde nicht thematisiert, da das kollektive Leid alles überstrahlte. Es galt nun, gemeinsam den Wiederaufbau voranzutreiben und die neuen Ideale von Demokratie und Fortschritt umzusetzen.
Über den Krieg wurde aus Respekt vor den vielen Toten geschwiegen, was dazu führte, dass erst Ende der 1960er Jahre und dann vor allem in den 1970er Jahren die Generation ohne Kriegserfahrung begann, sich öffentlich mit der Kriegsvergangenheit auseinanderzusetzen. Es kann jedoch nicht von einer flächendeckenden, objektiven Vergangenheitsbewältigung in der Gesellschaft gesprochen werden, da unterschiedliche politische Lager selbstverständlich verschiedene Positionen in Bezug auf den Krieg und die Kriegsschuld vertraten und bis heute vertreten.
Für Kritik aus dem Ausland, besonders der asiatischen Nachbarn, sorgen die offiziellen oder inoffiziellen Besuche der jeweiligen japanischen Premierminister im Yasukuni-Schrein, wo neben Kriegsgefallenen aus allen modernen Kriegen Japans auch die Klasse-A-Kriegsverbrecher verehrt werden. Es handelt sich nicht um Geschichtsvergessenheit, sondern um einen Akt des Geschichtsrevisionismus (rekishi shûseishugi 歴史修正主義), der die Kriege des modernen Japans als reine Verteidigungskriege verstanden wissen möchte. In die gleiche Richtung geht die Debatte um das Geschichtsbild in Schulbüchern, in denen die Kriegsvergangenheit wie das Massaker von Nanking, die Zwangsprostitution der sogenannten Trostfrauen (ianfu 慰安婦) oder die Menschenversuche der Einheit 731 nicht erwähnt oder nur am Rande erläutert und Japans Rolle als Aggressor und Besatzungsmacht nicht kritisch beleuchtet werden. Da Schulbücher vor der Verwendung in Schulen vom Bildungsministerium überprüft und genehmigt werden müssen, besteht die Kritik, dass die Politik das Geschichtsbild zu eigenen Zwecken zensiert und die Kriegsvergangenheit verharmlost.
„Die Heftigkeit der andauernden Diskussionen um die Erinnerungskultur wie auch um die Inhalte japanischer Geschichtslehrbücher liegt vor allem darin begründet, dass das so viel Aufsehen erregende revisionistische Geschichtsbild derzeit - trotz seiner Dominanz in der Erinnerungskultur im öffentlichen Raum - offenbar keine breite Unterstützung in der japanischen Gesellschaft erfährt und als nicht konsensfähige Minderheitsmeinung bezeichnet werden muss.“ (SAALER 2005, S. 32)
„Jedes Menschenleben verdient eine Erzählung […] wenn sich nur der Erzähler Rechenschaft giebt [sic], was er erreichen will.“ (WERNER 1895, S. 115)
Das Zitat wirft die Frage auf, welcher Zweck die mediale Repräsentation einer Lebensgeschichte in Form einer Biographie rechtfertigt und leitet damit weiter zur kritischen Auseinandersetzung mit der Rechtfertigung des biographischen Schreibens an sich.
Die Rechtfertigung des biographischen Objekts wird immer über die didaktische Funktion der Biographie und ihrem Erkenntniswert bestimmt. Das wiederum evoziert den Anspruch, dass Biographien unabhängig von ihrem Nachahmungswert überdurchschnittliche, außergewöhnliche und exzentrische Lebensgeschichten darstellen. Im 19. Jahrhundert ging die Biographik mit ihrem Fokus auf herausragende Individuen dieser Erwartung noch nach. Die biographische Praxis und ihre theoretische Diskussion definierten Biographiewürdigkeit vor allem über historische Größe und Heldentum. Historische Helden wurden damals als Leitbilder für viele Generationen verstanden, welche nicht nur richtungsweisend wirken, sondern auch als kollektive Identifikationsfiguren einen Gemeinschaftssinn stiften sollten, wodurch ihnen im Entstehungsprozess von Nationalstaaten eine wichtige identitätsbildende Funktion zukam. Im 21. Jahrhundert beschränkt sich die Auffassung von Biographiewürdigkeit als Ergebnis von jahrzehntelangen und noch immer fortsetzenden Kanonisierungsprozessen und Gegenbewegungen nicht mehr allein auf jene Helden. Postkoloniale und geschlechtergeschichtliche Theorien haben eine Verschiebung des biographischen Fokus auf marginalisierte Gruppen herbeigeführt und auch die zunehmende Hinwendung zu Oral History, Alltagsgeschichte, Mikrogeschichte und Volkskultur hat historische Größe und Bedeutung für obsolet erklärt. Damit schließt die heutige Biographieforschung auch „kleine“ Leute in ihren Kreis von forschungsrelevanten Objekten ein, welche nicht herausragende, sondern für eine bestimmte Gruppe von Menschen exemplarische und repräsentative Lebensläufe darstellen. Demnach pendelt die Biographik einerseits zwischen nachvollziehbaren und anschlussfähigen sowie andererseits einzigartigen und außergewöhnlichen Lebensgeschichten.
Die Legitimation der Biographisierung hat im Laufe der Zeit gemeinsam mit den ihr zugrunde liegenden Mechanismen ebenfalls einen Wandel erfahren. Diese Legitimationsmechanismen greifen zwar im vielfältigen medialen Spektrum des biographischen Erzählens unterschiedlich ein, lassen sich jedoch laut Christian KLEIN und Falko SCHNICKE insgesamt in vier verschiedene Mechanismen einteilen:
Sowohl der Rechtfertigung des biographischen Objekts als auch den Legitimationsmechanismen des biographischen Schreibens geht immer ein Wahrheitsanspruch voraus. Die Frage, ob und inwiefern Biographien diesen Anspruch erfüllen, lässt sich nicht unabhängig vom Rollenverständnis des Biographen, von der Erwartungshaltung des Publikums und schließlich auch vom gewählten biographischen Genre beantworten.
„Die biographische Wahrheit lässt sich nicht auf einen Begriff bringen, sie ist ein relationales Gebilde, sie entsteht zwischen der biographischen Erzählung, ihren Objekten und den Lesern jeweils neu.“ (FETZ 2009, S. 55)
Das bestätigt für Biographien, was allgemein in der Geschichtswissenschaft gilt: Sie sind Produkte von individuellen und beobachtungsabhängigen De- und Rekonstruktionsprozessen und somit lediglich unterschiedlich wahrscheinliche und perspektivgebundene Erzählungen zu vergangenen Ereignissen, jedoch trotz aller Mühe nie vollkommen objektive Darstellungen von tatsächlich Vergangenem. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Biographie keinerlei Wahrheit oder Erkenntnis entnommen werden kann. Biographisches Schreiben bedeutet immer, mit individuellen und externalisierten Erinnerungen zu arbeiten, ob es nun Ego-Dokumente wie Briefe, Tagebücher oder mündliche Äußerungen der biographierten Person selbst oder jene eines Augenzeugen sind. Daher bilden Biographien nicht etwa die Vergangenheit selbst ab, sondern die medial vermittelten Erinnerungen an diese Vergangenheit. Neben individuellen Erinnerungsprozessen verschafft die Biographie auch einen Einblick in die kollektive Erinnerungskultur, d.h. die in sozialen Kontexten erfolgende Vergangenheitsrepräsentation. Als Medium des kollektiven Gedächtnisses zeigen sie zum einen auf, wie die biographierte Person sich erinnert und zum anderen, wie und weshalb an die biographierte Person erinnert wird. Gleichzeitig geben sie auch Aufschluss über die Autoren und das kollektive Gedächtnis ihrer Zeit, denn:
„Über andere schreiben bedeutet immer auch, über sich selbst zu schreiben, denn die Rekonstruktion des Lebens anderer wird (bewusst oder unbewusst) geleitet von den eigenen Erfahrungen und Lebenserinnerungen.“ (ERLL 2009, S. 81)
Das Projekt „Biographien in der japanischen Nachkriegszeit“ hat zum Ziel, die Lebenswege von bekannten Personen darzustellen, die aus verschiedenen Gründen in Vergessenheit gerieten oder in der Forschung vernachlässigt wurden. Es handelt sich nicht um eine repräsentative Auswahl, sondern um bekannte Personen aus verschiedenen Bereichen wie Politik, Kunst oder Literatur, die von persönlichem Interesse der Autor*Innen sind. Besonderes Augenmerk wird in der Erzählung ihrer Lebenswege auf die Zeit nach der Niederlage Japans im Pazifischen Krieg gelegt, um den individuellen Umgang mit der historischen Veränderung in Japan darzulegen. Viele der hier dargestellten Personen waren auf die ein oder andere Weise im Krieg aktiv und unterstützten den imperialen Staat in seinen Kriegsbemühungen. Wie gehen Menschen mit den gesellschaftlichen Veränderungen um, die in Japan ab 1945 stattfanden? Wie positionieren sie sich und ihr Lebenswerk bei der Verarbeitung der traumatischen Kriegserfahrung? Grundsätzlich stellt sich auch die Frage, wie Individuen das gesellschaftliche Narrativ des Krieges und der Nachkriegszeit prägen bzw. in welcher Wechselbeziehung die Schaffung einer nationalen Identität in der Nachkriegszeit mit den individuellen Lebensgeschichten stehen.
Die Beiträge zu den einzelnen Personen gliedern sich in vergleichbare Abschnitte, um eventuelle Gemeinsamkeiten und grundlegende Unterschiede feststellen zu können: Herkunft, Familie, Ausbildung sowie Leben in verschiedenen Epochen. Ein kurzer Überblick über den Forschungsstand zur Person soll aufzeigen, welche Lücken und Schwierigkeiten bei der Rekonstruktion der Biographie bestehen. Dies kann zu einer Begründung für die bisherige Vernachlässigung der Person im Kanonisierungsprozess führen. Eine ausführliche Literaturliste stellt schließlich nicht nur die verwendete Literatur dar, sondern führt auch weiterführende Quellen auf.
Die Beiträge sind das Ergebnis des Seminars „Von Aggressoren, Opfern und Verlieren: Biographien in der japanischen Nachkriegszeit“ im Sommersemester 2022, Leitung: Dr. Chantal WEBER, Ostasiatisches Seminar, Abt. Japanologie, Universität zu Köln. AutorInnen der verschiedenen Texte sind: Jonas FAHLE, Yaren GÜLSOY, Celine JISCHKE, Marvin KAMPHAUSEN, Çılga MERTEN, Jonny RODRIGUES RAMOS.
In zukünftigen Seminaren sollen weitere biographische Darstellung hinzugefügt werden.
Yaren GÜLSOY, Çılga MERTEN, Jonny RODRIGUES RAMOS, Chantal WEBER