Der japanische Tee-Weg (sadô 茶道) hat seine Wurzel bereits im Altertum, als die Tee-Pflanze nach Japan eingeführt wurde. Der kulturelle Durchbruch in einer ritualisierten Form des Tee-Trinkens gelang in der Kamakura-Zeit (1185-1333) und schließlich in der Muromachi-Zeit (1336-1573), eine Formalisierung setze sich dann mit den sogenannten drei Vollendern des Tee-Wegs, Murata Jukô 村田珠光 (1423-1502), Takeno Jôô 竹野紹鴎 (1502-1555) und Sen no Rikyû 千利休 (1522-1591) durch.
Besonders letzterer setzte den Tee-Weg als Mittel der Diplomatie ein: Der Tee-Raum als „neutraler Boden“, um Kriegsparteien oder Feinde friedlich zusammenzubringen und eine Kommunikation auf Augenhöhe zu gewährleisten.
Die Philosophie des Tee-Wegs manifestiert sich in jeder Tee-Begegnung, die in ihrer Zusammensetzung von Utensilien, Rollbild, Blumen und Gästen einmalig und unwiederholbar ist. Dies wird mit dem Begriff ichigo ichie 一期一会 (einmaliges, umwiederholbares Zusammentreffen) bezeichnet. Der Gastgeber bereitet den Tee-Raum dem Anlass entsprechend vor, indem er alle Tee-Geräte sorgfältig auswählt, die Schmucknische (tokonoma 床の間) entweder mit Rollbild oder Blumen verziert und den Garten sorgfältig präpariert.
Grundsätzlich handelt es sich bei allen Handlungen, die im Tee-Weg ausgeführt werden, um Alltagstätigkeiten: die Zubereitung des Tees, das gemeinsame Trinken des Tees, das Arrangieren der Blumen oder die Gartenarbeit. Durch die bewußte Ausführung jedoch werden diese Handlungen zur Kunst, die jahrelange Übung erfordert.
Alle Beteiligten an einer Tee-Begegnung tragen zum Gelingen des Gesamtkunstwerks „Tee“ bei; es gibt bei dieser Kunst keine Darsteller und kein Publikum, sondern alle Personen und auch die Utensilien sind Bestandteil der Tee-Kunst.
„Das eigentliche Teetrinken bildet durch einen äußerst sorgfältig ausgearbeiteten künstlerischen Prozeß und spezielle Bedingungen und Umstände in sich selbst eine dynamische, anschauliche Kunst, die als eine besondere Form räumlicher Kunst betrachtet werden kann.“ (Izutsu 1988, S. 81)
Die Tee-Kunst erfordert, dass der Mensch mit all seinen Sinnen in den Dialog mit sich, mit der Natur, mit den Objekten und nicht zuletzt mit anderen Menschen tritt. Dieser durch Kommunikation erschaffene Raum des Tees vereint und überwindet alle Unterschiede und stellt in seiner Gesamtheit die Tee-Kunst dar.
„Die Tee-Kunst vereinigt zahlreiche eigenständige Kunst- und Kunsthandwerksformen wie Architektur, Malerei oder Keramik in einer Synthese, läßt ein Gesamtkunstwerk entstehen.“ (Ehmcke 1991, S. 119)
Den Tee-Utensilien wird bei der temporalen Verbindung der einzelnen Tee-Begegnungen besondere Bedeutung zuteil, indem eine wiederholte Benutzung eine Brücke zu einer bereits vergangenen Tee-Begegnung schlägt. Folgende Tee-Utensilien kommen im Tee-Weg u.a. zum Einsatz:
Die „Persönlichkeit“ eines Tee-Geräts entsteht bei seiner Herstellung: Sei es, dass bei den Tee-Schalen die Glasur häufig ein Zufallsprodukt des Brennvorgangs ist; sei es, dass ein Tee-Meister den chashaku nach eigen Vorlieben aus einem Bambus schnitzt und formt; oder sei es, dass die Erscheinungsform des hanaire dem natürlichen Wachstum des Bambusbaums folgt - immer ist das Tee-Gerät einmalig und einzigartig.
Durch die Dokumentation der Vorbesitzer und auch das Protokollieren der vorherigen Benutzung in Form von chakaiki 茶会記 (Tee-Protokoll) erhält jedes Tee-Gerät eine Biographie, die sich häufig in einem Namen ausdrückt. Für spätere Käufer ist ein Tee-Gerät um so wertvoller je besser dokumentiert die Biographie ist; aber auch die Prominenz der Vorbesitzer trägt zum Wert einzelner Geräte bei. In Anbetracht dessen handelt es sich um fast dramatische Fälle, wenn ein Tee-Meister am Ende seines Lebens seine Tee-Schale zerstört: Damit ist die Zeitlinie zu früheren Tee-Begegnungen beendet.
Das Ende der feudalen Edo-Zeit und das Anbrechen der neuen, modernen Meiji-Zeit bedeutet für die Institution „Tee-Weg“ zunächst einen Einbruch, denn die Unterstützer und Mäzen der Tee-Kunst waren nun mit einem Mal verschwunden. Besonders die Tee-Schulen und Tee-Lehrer, die von dem Shôgunat oder einzelnen daimyô 大名 abhängig waren, mussten sich neue Einnahmequellen besorgen. So konnten einige als Tee-Lehrer in Ausbildungseinrichtungen für Mädchen unterkommen, was dazu führte, dass der Tee-Weg bis heute als Training für richtige Etikette und Manieren von Frauen angesehen wird.
Die gesellschaftlichen Veränderungen bedeuteten jedoch nicht, dass die Tee-Kunst aus Japan verschwand, sondern es fand eine Verlagerung statt. In Kyôto wurde reiche Kaufmannsfamilien zu den Unterstützern und Beschützern der Tee-Schulen: Die Mitsui-Familie nahm sich der Omotesenke 表千家-Schule an, während die Mushanokôjisenke 武者小路千家-Schule durch die Familie Hirase unterstützt wurde.
In Tôkyô gestaltet sich der Umbruch für die Tee-Schulen bzw. die kulturelle Institution Tee-Weg anders, denn nicht nur Unternehmer wie Yasuda Zenjirô 安田善次郎 (1838-1921) bedienten sich der Kunst, um ihren neuen Status hervorzuheben. Auch Adlige wie Matsura Akira 松浦詮 (1840-1908) und Higashikuze Michitomi 東久世通禧 (1834-1912) fanden in der Tee-Kunst ein Mittel ihr kulturelles Leben der untergegangenen Edo-Zeit weiterzuführen. Gemeinsam gründeten sie die Tee-Gesellschaft Wakei-kai 和敬会, welche bereits seit den 1880er Jahren unregelmäßig Tee-Begegnungen veranstaltete, aber ab dem Jahr 1898 zu einem regelmäßigen Ereignis wurde. Damit versuchte sich vor allem die alte Machtelite der Adligen bzw. der in den Adelsstand erhobenen daimyô, also Landesherren aus dem Stand der Samurai in der Edo-Zeit, von der neuen Wirtschaftselite um Masuda Takashi 益田孝 (1848-1938) und seiner 1895 gegründeten Daishi-kai 大師会 abzugrenzen. Der Zugang zur Wakei-kai war limitiert und nur auf Einladung möglich, um damit einen exklusiven Zirkel zu instituieren.
„The establishment of the Wakei-kai and their prohibition on using ostentatious tea utensils at their tea gatherings can be interpreted as a reaction by the old elite to the emerging nouveaux riches, such as Masuda Takashi, who were entering what had formerly been the old elite's exclusive sociocultural sphere and parading their material wealth, as exemplified in pretentious tea utensils and other forms of art and by hosting grand tea gatherings where the main interest of participants was the ostentations of the guest of the tea utensils used at the gathering.“ (Oshikiri 2018, S. 67)
Damit übten sie indirekt Kritik an der Daishi-kai, mit der Masuda Takashi seine wertvolle Sammlung von Tee-Utensilien zur Schau stellte und wo es gar zu Geschäften zwischen den Teilnehmenden kam. Mit dem Ableben der adligen Gründer der Wakei-kai jedoch wurden vermehrt Mitglieder aus der Wirtschaftselite aufgenommen und damit auch ihre Ideale verändert. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte sich die Tee-Kunst nicht nur als Mittel zur Erhöhung des eigenen kulturellen Prestiges etabliert, sondern wurde auch in der Diplomatie eingesetzt, um Ausländern die japanische Kultur und ihre vermeintliche Einzigartigkeit zu vermitteln.
Chantal Weber