Die Einbettung in den historischen und gesellschaftlichen Hintergrund der privaten Kunstsammler, die in diesem Projekt besprochen werden, wird anhand der Theorie zu verschiedenen Kapitalsorten nach Piere Bourdieu besprochen.
Der Soziologe Pierre Bourdieu, 1930 in einem kleinen Dorf in den Pyrenäen als Sohn eines Landwirts geboren, studierte an einer der renommiertesten Universitäten in Frankfreich, der École normale supérieure de Paris und legte 1954 seine Agrégation in Philosophie ab. Mitte der 1950er Jahre, während seines Wehrdienstes in Algerien, betrieb er erste ethnologische Studien und gelangte schließlich zur Soziologie. 1964 wurde er Professor an der École Pratique des Hautes Études in Paris; 1981 schließlich wurde er auf den Lehrstuhl für Soziologie am Collège de France berufen - eine Ehre, die nur anerkannten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ihrer Disziplinen zuteil wird.
„Alle sozial erforderlichen Handlungsressourcen subsumiert Bourdieu unter dem Begriff des Kapitals.“ (Rehbein 2016, S. 107)
„Kapital ist akkumulierte Arbeit, entweder in Form von Material oder in verinnerlichter, 'inkorporierter' Form.“ (Bourdieu 2015, S. 49)
Das ökonomische Kapital bezeichnet bei Bourdieu finanzielle Ressourcen und materiellen Reichtum, also Mittel, die unmittelbar in Geld umgewandelt werden können. Es institutionalisiert sich in Form des Eigentumsrechts.
Die Verfügbarkeit über ökonomisches Kapital ermöglicht eine von Zwängen befreite Zeit, in welcher andere Kapitalsorte akkumuliert werden können.
Kulturelles Kapital bezeichnet die Bildung und das Handlungswissen, über die eine Person verfügt. Nach Bourdieu gibt es drei verschiedene Formen des kulturellen Kapitals, deren Entdeckung Rehbein als größte Leistung Bourdieus bezeichnet. (Rehbein 2016, S. 108)
Unter dem sozialen Kapital versteht Bourdieu „die Gesamtheit der aktuellen und potentiellen Ressourcen, die mit dem Besitz eines dauerhaften Netzes von mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen gegenseitigen Kennens oder Anerkennens verbunden sind“. (Bourdieu 2015, S. 63) Damit ist die Zugehörigkeit zu einer Gruppe gemeint, über die Ressourcen aktiviert werden können und zusätzliches Kapital zur Verfügung steht. Die Beziehungen innerhalb des Netzes werden durch materielle und/oder symbolische Tauschhandlungen aufrecht erhalten.
Das symbolische Kapital ist gewissermaßen eine den drei anderen Kapitalarten übergeordnete Ressource. Denn das symbolische Kapital entsteht als gesellschaftlicher Anerkennungsakt durch andere und bestimmt Ansehen und Prestige einer Person. Jede der drei Kapitalarten kann „zur symbolischen Durchsetzung von Machtansprüchen eingesetzt werden.“ (Rehbein 2016, S. 109)
Jede Kapitalsorte kann in eine andere transformiert werden. So können Kunstgegenstände (objektiviertes Kulturkapital) durch den Aufwand von ökonomischem Kapital erworben werden. Durch den Besitz der Kunstgegenstände und dem damit einhergehenden Bildungsgrad (inkorporiertes Kulturkapital) wird das soziale Kapital innerhalb einer Gruppe und damit auch das persönliche Ansehen (symbolisches Kapital) erhöht.
Die Übertragung von Kapital auf die nächste Generation kann unterschiedlich gut gelingen. Während das ökonomische Kapital und auch das objektivierte Kulturkapital relativ leicht weitergegeben werden können, ist das inkorporierte Kulturkapital an die Person gebunden und muss von der nächsten Generation neu erworben werden. Institutionalisiertes Kulturkapital kann teilweise wie im Fall von Adelstiteln weitergegeben werden, Bildungstitel müssen jedoch neu erworben werden. Die Sukzession ist also ein kritischer Moment für jede Macht, die mit Kapital einhergeht.
Chantal Weber