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Filmanalyse „ASCHE IST REINES WEISS“ von JIA ZHANG-KE
(Angelika Kohout)

Einleitung

Betrachtet man den Film „Asche ist reines Weiß“ als Liebesdrama, so bildet ein Dialog zwischen den beiden Protagonisten ZHAO QIAO und GUAO BIN das Herzstück des Films. Es geht um die Klärung der Beziehung der beiden Figuren.
Nachdem Qiao fünf Jahre im Gefängnis zugebracht hat, ist sie nach ihrer Entlassung auf der Suche nach ihrem Freund Bin, dem damaligen Anführer einer Bruderschaft von Kleinkriminellen in Datong. Ihm hatte sie damals in einer bedrohlichen Auseinandersetzung mit einer Jugendbande das Leben gerettet, indem sie drei Schüsse aus seinem Revolver in die Luft feuerte. Weil sie sich weigerte, ihn als Besitzer der Waffe zu benennen, war sie wegen illegalen Waffenbesitzes zu fünf Jahren Gefängnisaufenthalt verurteilt worden, während er lediglich für ein Jahr inhaftiert war.
In der Zwischenzeit hat sich China wirtschaftlich und gesellschaftlich grundlegend verändert. Aus den ehemaligen Bandenmitgliedern sind wohlhabende Geschäftsleute geworden. Bin hat sich den neuen Verhältnissen bereits angepasst. Nach ihrer Entlassung versucht Qiao, ihn ausfindig zu machen. Im Vorfeld hat sie bereits erfahren, dass er eine neue Beziehung eingegangen ist. Der Zuschauer hat gesehen, dass er sich bei Versuchen, ihn zu erreichen, verleugnen lässt und auch auf Handyanrufe nicht reagiert. Mit Hilfe der Polizei hat Qiao ihn ausfindig gemacht, um ihn zur Rede stellen und von ihm persönlich zu erfahren, wie es um ihre Liebesbeziehung bestellt ist.

Fragestellung

Anhand der Szene 1.22:25 bis 1.30:42 soll untersucht werden, mit welchen filmischen Mitteln das Ende der Liebesbeziehung zwischen QIAO und BIN gezeigt wird und welche Hinweise in dieser Szene als Aufhänger auf den deutschen Titel des Films „ASCHE IST REINES WEISS gelten könnten.

Beschreibung der Szene

Nach einem harten Schnitt beginnt die Szene damit, dass Qiao und Bin nacheinander – sie voran – eine lange, steile von Neonlicht beschienene Treppe hinauf zu dem Ort steigen, an dem die Auseinandersetzung stattfinden soll. Halbdunkel und regennasse Stufen bestimmen die Atmosphäre.
Qiao und Bin treffen sich, oben angekommen, in einem einfachen Hotelzimmer, das mit farblosem, funktionalem Ambiente ausgestattet ist. Drei Einzelbetten stehen parallel angeordnet im Raum. Grünliches Neonlicht, das an der Hotelfassaden angebracht ist, dringt von außen ins Zimmer.
Im Inneren des Hotelzimmers beleuchtet das Licht einer zweiarmigen Wandleuchte die beiden Protagonisten, die sich auf zwei sich nebeneinander stehenden Einzelbetten frontal gegenüber sitzen. Sie trägt eine helle Bluse, er dagegen ein dunkles Jackett.
Es beginnt ein schleppender Dialog, der durch viele Gesprächspausen und lange Kameraeinstellungen unterstrichen wird. Zunächst berichtet sie, dass ihr Vater in der Zwischenzeit verstorben ist. Bin entgegnet teilnahmslos, dass er davon bereits erfahren habe.
Schließlich eröffnet Qiao die Auseinandersetzung: „Wir sollten einige Dinge klären!“ Es erfolgt ein Platzwechsel: Bin setzt sich neben sie aufs Bett, ohne sie zu berühren - Pause. „Bin ich eigentlich noch deine Freundin?“ fährt sie fort. Er versucht, dem Gespräch auszuweichen und erwidert nach langem Zögern: „Hier sitzt nicht der Bin von früher, der Mann der Unterwelt. Ich bin kein Gesetzloser mehr.“ Sie entgegnet: „Dafür musste ich mich wie einer benehmen“. Sie erhebt sich, begibt sich zum Fenster und schaut ins Neonlicht.

Er wechselt das Bett, zündet eine Zigarette an und beginnt, intensiv zu rauchen. Die Kamera schwenkt auf Bin und zeigt ihn in Großaufnahme. Qiao kehrt in den Raum zurück und setzt sich dann auf das gegenüberstehende Bett. Während er sich aufs Rauchen konzentriert und dadurch abgelenkt zu sein scheint, wirkt sie innerlich bewegt, äußerlich jedoch gefasst.

Nun eröffnet Bin das weitere Gespräch und fragt Qiao nach ihren Beweggründen dafür, ihn aufzusuchen (1.24:25). Sie beschreibt ihre Enttäuschung darüber, dass er sie nicht am Gefängnistor erwartet hat. „Fünf Jahre habe ich für dich gesessen, während du nur für ein Jahr inhaftiert warst“. Bin stellt die Wichtigkeit ihrer Erwartung in Frage: „Bin ich für dich so wichtig“? Qiao betont, dass eine solche Geste der Zuwendung und Liebe für sie das Wichtigste in ihrem Leben sei. „Was sollte sonst für mich wichtig sein“?

Er wendet sich ab, begibt sich zum Fenster und schaut hinaus ins Neonlicht. Dann wendet er sich ihr halb zu und die Kamera zeigt ihn im Profil. Er beginnt seine Beweggründe zu beschreiben. „Weißt du eigentlich, wie es sich für einen Mann anfühlt, vollständig mittellos zu sein? Als ich aus dem Gefängnis entlassen wurde, war keiner der früheren Freunde da. Kannst du dir das vorstellen …“?

Qiao hält dem entgegen: „Das sind also die Dinge, die dir wichtig sind. Zähle ich gar nicht“? Dabei erhebt sie sich und begibt sich auch zum Fenster. Sie versucht, ihn zur Rückkehr nach Datong zu bewegen. „Lass uns zurückgehen“! Die Kamera ruht auf ihr. Er entgegnet: „Ich gehe erst wieder zurück, wenn ich ihnen allen (den früheren Gangsterkameraden) zeigen kann, dass ich wieder Erfolg habe. Ich hol mir alles zurück“. Daraufhin entscheidet sie: „Gut, dann gehe ich allein nach Datong zurück“.

Nach einer langen Gesprächspause, in der die Kamera lange auf Bin ruht, versucht er, seine Untreue zu gestehen (1.27:30): „Eins wäre da noch …“ (lange Pause). Qiao kommt ihm schließlich zu Hilfe mit den Worten: „Ich mache es dir leicht“. Es folgt wieder eine lange Pause. „Vom heutigen Tag an gehen wir getrennte Wege. Das wolltest du doch sagen“? Bin versucht einzulenken und ergreift ihre linke Hand, die Hand, mit der sie vermeintlich geschossen hat. „Mit dieser Hand hast du mir das Leben gerettet“. Sie weist darauf hin, dass sie als Rechtshänderin zum Schießen die andere Hand benutzt habe. „Du hast es vergessen“. Nach dieser Erkenntnis ringt sie mit versteinerter Miene um Fassung und kämpft mit den Tränen. Er raucht in tiefen Zügen, wendet sich ihr schließlich zu und gesteht nach sehr langer Pause: „Am Tag deiner Entlassung hätte ich vor dem Tor stehen sollen“.

Nach diesem Geständnis möchte Bin den Konflikt kurzerhand abschließen (1.29:30): „Ich weiß was. Steig übers Feuer, das vertreibt das Unglück.“ Nach diesen Worten holt er eine traditionell bemalte Metallschüssel unter dem Bett hervor und entzündet darin eine Zeitung. In Großaufnahme wird gezeigt, wie er sie bei der Hand nimmt und über das Feuer führt. Beleuchtet wird die Handlung durch sehr helles Licht der Wandlampe. Die Kamera ruht auf den Händen. Anschließend schauen beide einander lange an (weiterhin in Großaufnahme). Schließlich wendet sie sich ab und weint.

Bin steigt alleine im strömenden Regen und Gewitter die steile Treppe wieder hinunter. Die Szene wird durch einen harten Schnitt beendet.

Interpretation und Auswertung

  • Die Inszenierung dieser Szene, eingerahmt vom Auf – und Abstieg auf einer steilen Treppe, weist auf ihre exponierte Bedeutung im Ablauf des Geschehens. Es geht um den Höhepunkt der Auseinandersetzung zwischen Qiao und Bin.
  • Regennasse Stufen bei Dunkelheit und Gewitter, beschienen vom Neonlicht, erzeugen eine düstere Ausgangssituation und deuten auf kein gutes Ende des bevorstehenden Gespräches hin.
  • Die Aussprache findet in einem einfach ausgestatteten Hotelzimmer statt. Die unpersönliche Standardausstattung betont die Distanz und Sprachlosigkeit des Paares.
  • Grüne Leuchtreklame von außen erleuchtet einen Teil des Raumes und erzeugt eine unheilvolle Stimmung. Das Paar wird dagegen während seines Dialoges im Inneren des Raumes vom herkömmlichen Licht einer Wandlampe beschienen.
  • Wechselnde Positionen der Darsteller zwischen den gegensätzlichen Lichtquellen im Raum weisen auf Distanz und Nähe der Figuren und ihre seelische Verfassung hin. Er will sich ein neues Leben aufbauen und erwartet von Qiao Verständnis für seine unbefriedigende Lage.
  • Obwohl viele Hinweise im Gespräch darauf deuten, dass die Beziehung beendet ist, gibt Qiao die Hoffnung noch nicht auf und fordert Bin auf, mit ihr nach Datong zurückzukehren.
  • Eine erste körperliche Berührung des Paares findet gegen Ende des Gespräches statt. Bin ergreift die linke Hand Qiaos und beginnt zögerlich mit einem Schuldbekenntnis. Dadurch, dass er die falsche Hand ergreift, nämlich nicht die rechte Hand, mit der Qiao die Schüsse abgab, wird für sie sichtbar und deutlich, dass seine vermeintliche Liebe nur oberflächlicher Natur war und dass sie nur wenig Bedeutung für ihn hatte. Während sie über lange Zeit äußerlich gefasst wirkte, versteinert sich ihre Mimik zusehends und sie scheint mit den Tränen zu ringen.
  • An Bins Verhalten und Gestik wird erkennbar, dass er sich gerne dem Gespräch entziehen möchte, indem er eine Zigarette anzündet und sich ins Rauchen vertieft. Nach sehr langer Gesprächspause, in der die Kamera auf ihm ruht, versucht er zögerlich, seine Untreue einzugestehen und gesteht zu, einen Fehler gemacht zu haben, als er Qiao nach fünf Jahren im Gefängnis nicht abgeholt hat.
  • Gleich anschließend versucht Bin, die Verbindung zu Qiao endgültig zu lösen und abzuschließen, indem er sie bei der Hand nimmt, um sie übers Feuer zu führen. Bin entzündet ein Feuer mit den Worten: “Das Feuer vertreibt das Unglück.“ Nach einer alten Tradition will er auf diese Weise die Liebesbeziehung rasch beenden und besiegeln.
  • Verbunden mit weißem Rauch entsteht Asche. Dieser Vorgang unterstreicht die Symbolik, die im deutschen und englischen Titel des Films angesprochen wird „ASCHE IST REINES WEISS“. Auch die einstige Liebe der Protagonisten ist durch den Verbrennungsprozess endgültig beendet und gestorben.
  • Die Kleidung der Hauptdarsteller zeigt einen auffallenden Hell-Dunkel-Kontrast (er in dunklem Jackett, sie in weißer Bluse). Das deutet auf eine Wertung der beiden Darsteller hin und ruft die Assoziation von Schuld und Unschuld hervor.
  • Qiao erscheint seit ihrem Gefängnisaufenthalt stets in weißer Kleidung Weiß – die Farbe der Reinheit und Unschuld – könnte als ein Zeichen dafür gedeutet werden, dass sie unschuldig geblieben ist, da der Gebrauch der Waffe aus der Not entstand, dem Freund das Leben zu retten. Aus dieser Notwehr erwächst die Tragik ihrer Person.

Fazit

Der erhöhte, dramatisch inszenierte Schauplatz der Szene betont ihre Bedeutung für die Handlung und deutet auf einen negativen Ausgang hin. Gespräch und Bewegungen der Hauptdarsteller im neutral gestalteten Hotelzimmer machen die Veränderungen deutlich, die sie im Verlauf der vergangenen Jahre auf dem Hintergrund der chinesischen Entwicklung erfahren haben. Während Qiao in der Tradition verhaftet ist und an ihrer Liebe festhält, haben für Bin Werte wie Empathie, Freundschaft und Treue an Wert verloren.
Nach dem Eingeständnis seines Fehlverhaltens will Bin durch eine traditionelle Zeremonie – das Entzünden eines Feuers zur Vertreibung von Unglück – die Beziehung beenden und verbrennt im übertragenen Sinn dadurch auch Qiaos Liebe. Neben der Farbe von Qiaos Kleidung, die Unschuld und Reinheit symbolisiert, gewinnt die Farbe ‚Weiß‘ noch einmal besondere Bedeutung. Der weiße Rauch und die weiße Asche, die durch den Transformationsprozess des Feuers entstanden sind, wecken Assoziationen zum deutschen Titel des Films „Asche ist reines Weiß“.

Die Bedeutung der ausgewählten Szene wird dadurch herausgestellt, dass die Auseinandersetzung auf einer über steile Treppen erhöhten Plattform stattfindet. Grünliches Kunstlicht erzeugt dabei eine unheilvolle Atmosphäre und deutet auf einen negativen Ausgang der Auseinandersetzung hin.

Der Ort der Handlung ist ein einfach eingerichtetes Hotelzimmer, das durch eine Wandlampe beleuchtet ist. Durch ein Fenster dringt der Schein von Neonreklame in den Raum. Zwischen diesen gegensätzlichen Lichtquellen bewegen sich die Darsteller. Der Positionswechsel weist darauf hin, dass sich das ehemalige Paar in der Zeit eines gesellschaftlichen Umbruchs befindet. Bedingt durch ihren unterschiedlich langen Gefängnisaufenthalt haben die beiden den Umwandlungsprozess Chinas nicht in gleicher Weise erlebt.

Bin ist nach seinem einjährigen Gefängnisaufenthalt in den zurückliegenden Jahren bereits mit der neuen gesellschaftlichen Situation konfrontiert und dadurch beeinflusst worden. Werte wie Empathie, Freundschaft und Treue haben für ihn an Bedeutung verloren. Qiao ist dagegen durch ihre lange fünfjährige Inhaftierung, aus der sie erst kürzlich entlassen wurde, noch stark in der Tradition verhaftet. Sie befindet sich noch in der Gefühlswelt der vergangenen Zeit und hegt noch lange die Hoffnung, trotz aller Enttäuschungen und Verwundungen, die Liebesbeziehung aus der Vergangenheit retten zu können.
Unterschiedliche Gefühlslagen und Wertvorstellungen bestimmen demnach die Auseinandersetzung des Paares.

Anhand der Kleidung der Hauptdarsteller wird ein deutlicher Hell-Dunkel-Kontrast gezeigt, der symbolisch eine Zuordnung von Schuld und Unschuld andeuten könnte.
Nach zögerlichem Bekenntnis und Eingeständnis seines Fehlverhaltens will Bin das Gespräch schnell abschließen, indem er ein Feuer entzündet. Mit dem Mittel einer traditionellen Handlung will er die Beziehung endgültig beenden und die Trennung besiegeln. Im übertragenen Sinn wird auch Qiaos Liebe durch das Feuer verbrannt. Dieser Transformationsprozess wird durch weißen Rauch gekennzeichnet und unterstrichen.

Durch eine traditionelle Zeremonie - das Entzünden eines Feuers zur Vertreibung von Unglück – wird die Szene beendet. Bei dem Verbrennungsprozess entstehen Asche und weißer Rauch.
Neben der Farbe von Qiaos Kleidung, die Unschuld und Reinheit symbolisiert, gewinnt die Farbe `Weiß` noch einmal besondere Bedeutung. Durch den weißen Rauch, der durch den Transformationsprozess des Feuers zu Asche entstanden ist, entsteht eine Assoziation zum deutschen Titel des Filmes: ASCHE IST REINES WEISS.

Lange Kameraeinstellungen begleiten die Auseinandersetzung und unterstreichen die schleppende Gesprächsführung, die typisch für den gesamten Film ist. Dadurch entsteht beim Zuschauer gleichzeitig ein Gefühl von Lähmung und Spannung. Sie begleiten zu einem unvorhergesehenen weiteren Verlauf und Ende des Filmes, bei dem eine geläuterte und erstarkte Persönlichkeit Qiaos deutlich wird.

angelika_kokout.txt · Zuletzt geändert: 2020/05/11 12:37 von admin