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Biographien in der Nachkriegszeit - eine Analyse
„Jedes Menschenleben verdient eine Erzählung […] wenn sich nur der Erzähler Rechenschaft giebt, was er erreichen will.“ (Werner 1895, S. 115)
Das Zitat wirft die Frage auf, welcher Zweck denn nun die Darstellung einer Lebensgeschichte in Form einer Biografie rechtfertigt. Wir schreiben der Biografik oft eine didaktische Funktion zu, womit die Erwartung einhergeht, nachahmenswerte oder abschreckende Beispiele von Lebensläufen darzustellen. Doch unabhängig vom moralischen Maßstab der biografischen Objekte erwarten wir vor allem überdurchschnittliche, außergewöhnliche und exzentrische Geschichten. Im 19. Jahrhundert ging die Biografik mit ihrem Fokus auf herausragende Individuen dieser Erwartung noch nach. Die biografische Praxis und ihre theoretische Diskussion definierten Biografiewürdigkeit vor allem über historische Größe und Heldentum. Historische Helden wurden zu jener Zeit als Leitbilder für viele Generationen verstanden, welche den Lauf der Geschichte auf eine kreative und für sogenannte einfache Menschen nicht immer klar ersichtliche und nachvollziehbare Weise mitgestalteten und prägten. Diese idealisierten Vorbilder sollten nicht nur richtungweisend wirken, sondern als kollektive Identifikationsfiguren auch Gemeinschaft stiften, womit sie im Entstehungsprozess von Nationalstaaten eine wichtige identitätsbildende Funktion innehatten.
Auch wenn im 21. Jahrhundert Biografien von sogenannten großen und bedeutenden historischen Persönlichkeiten den Buchmarkt noch immer dominieren, so beschränkt sich die Auffassung von Biografiewürdigkeit als Ergebnis von jahrzehntelangen und noch immer fortsetzenden Kanonisierungsprozessen und Gegenbewegungen nicht mehr allein auf jene. Zum einen haben etwa postkoloniale Theorien und der Gender-Diskurs eine Verschiebung des biografischen Fokus auf bislang ausgeschlossene und unbeachtete Persönlichkeiten herbeigeführt. Aber auch die zunehmende Hinwendung zu Oral History, Alltagsgeschichte, Mikrogeschichte und Volkskultur hat historische Größe und Bedeutung für obsolet erklärt. Damit schließt die heutige Biografieforschung auch sogenannte kleine Leute in ihren Kreis von forschungsrelevanten Objekten ein, welche nicht herausragende, sondern für eine bestimme Gruppe von Menschen exemplarische und repräsentative Lebensläufe darstellen. Demnach pendelt die Biografik zwischen einerseits nachvollziehbaren und anschlussfähigen und andererseits einzigartigen und außergewöhnlichen Lebensgeschichten.
Die „Biographien in der japanischen Nachkriegszeit“ sollen diese vermeintlich gegensätzlichen Pole der Biografieforschung miteinander vereinbaren. Die Auswahl umfasst zwar größtenteils Persönlichkeiten, welche in ihren jeweiligen Kategorien die zweite Riege bilden und somit im Schatten anderer Persönlichkeiten stehen. Sie sind aber dennoch historische Größen, welche selbst den Ansprüchen der Biografien des 19. Jahrhunderts gerecht werden. Gleichzeitig werden mit ihren Geschichten exemplarische Lebensläufe aus einer Zeit dargestellt, in der Japan von großen und nachhaltigen Umbrüchen geprägt war, welche in jeder dieser Biografien ihre Spuren hinterlassen haben.